Man kann es eigentlich sofort auf den Punkt bringen: „Der Rote Diamant“, der neue Roman des Schweizer Autors THOMAS HÜRLIMANN ist einfach wunderbar, klug, amüsant, spannend – ein absoluter Pageturner und grossartige Literatur…
Für mich ist diese Neuerscheinung im Fischer Verlag eine der besten Neuerscheinungen in diesem Literaturjahr 2022. „Der Rote Diamant“ hat alles, was gute Literatur haben sollte – eine gute Geschichte, Humor, Spannung, gute Unterhaltung, ohne dabei jemals plakativ oder anbiedernd zu wirken. Hier merkt man eben doch, ein Könner war am Werk, das hat Hürlimann ja bereits mit vielen Werken bewiesen. Man freut und leidet in den Klostermauern mit den Zöglingen, die neben dem titelgebenden roten Diamanten an nicht anderes denken können, als an „Titten Schnitzel Hintern Fritten“. Ebenso gibt es eine Vielzahl an Momenten, die den Leser schmunzeln lassen, wie etwa wenn der Uhrenbruder nach einem Gespräch über sein baldiges Ableben im Turm sich mit den Worten „Und jetzt lasst mich allein. Es wird höchste Zeit mein Hebräisch zu verbessern. Der Himmel ist in jüdischer Hand“ verabschiedet (S. 126).
»Pass dich an, dann überlebst du«, bekommt der elfjährige Arthur Goldau zu hören, als ihn seine Mutter im Herbst 1963 im Klosterinternat hoch in den Schweizer Bergen abliefert. Hier, wo schon im September der Schnee fällt und einmal im Jahr die österreichische Exkaiserin Zita zu Besuch kommt, wird er zum »Zögling 230« und lernt, was schon Generationen vor ihm lernten. Doch das riesige Gemäuer, in dem die Zeit nicht zu vergehen, sondern ewig zu kreisen scheint, birgt ein Geheimnis: Ein immens wertvoller Diamant aus der Krone der Habsburger soll seit dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie im Jahr 1918 hier versteckt sein. Während Arthur mit seinen Freunden der Spur des Diamanten folgt, die tief in die Katakomben des Klosters und der Geschichte reicht, bricht um ihn herum die alte Welt zusammen. Rose, das Dorfmädchen mit der Zahnlücke, führt Arthur in die Liebe ein, und durch die Flure weht Bob Dylans »The Times They Are a-Changinʼ«. (S. Fischer Verlag)
Voller Vergnügen liest man sich durch Hürlimanns Kloster-Welten, durch einen ganzen Kosmos an Geschichten, die wahr sein können oder nicht, die der Fantasie des Autors entsprungen oder selbst erlebt worden sind. Immerhin war Hürlimann selbst im Kloster Einsiedeln, das wohl – nicht schwer zu erraten – die Vorlage für „Maria im Schnee“ bilden dürfte. Egal, man hat grosse Freude an der bunten Fabuliererei. Hürlimann schafft es mittels unterschiedlichen Erzählebenen zu unterhalten, zu packen, gleichzeitig philosophiert er wunderbar und spricht durch sein Alter Ego Arthur Goldau zu uns. Und natürlich ist ein Diamant unsterblich, ewiglich, unterliegt keinem Zyklus, keiner Zeit und darum geht es wohl auch. Die grosse Frage, was ist Gegenwart, was ist Vergangenheit, was ist Zukunft. Für uns. Für ein Kloster, den Glauben, es geht um Vergänglichkeit und grosse Dinge und doch ist „Der rote Diamant“ „nur“ eine simple spannende autobiographisch geprägte Geschichte. Wunderbar. Grosses Lesevergnügen.
„Der Rote Diamant“ von Thomas Hürlimann, 2022, S. Fischer Verlag, ISBN: 978-3-10-397071-5 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim S. Fischer Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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Hui! Lohnt sich! Sehr schöner Roman! Gelungen! Herzlichst aus Zürich. A.
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Das ist mal eine furiose Rezension! Sehr schön, deine Begeisterung herauslesen. Da scheint das Lesen richtig Spaß gemacht zu haben!! Viele Grüße ins Wochenende hinein!
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Es ist auch ein wirklich tolles Lesevergnügen. Ich lese ja keine Rezensionen von Büchern, bevor ich es selbst gelesen habe, ebenso auch bei Theater/Opernproduktionen etc. – immer erst wenn ich es selbst gesehen, gelesen habe und was dazu geschrieben habe, will mich da nicht beeinflussen lassen. Habe jetzt festgestellt, dass es wirklich viele fast schon hymnische Kritiken zu Hürllimanns Roman gibt – zu Recht kann man nur sagen. Kann ich wirklich empfehlen. Dir einen schönen Sonntag und liebe Grüsse nach Berlin! A
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Ich hab’s mir nach deiner Fürsprache auf die Liste gesetzt. Du empfiehlst immer gute Bücher! Viele Grüße!
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Also dann bin ich mal gespannt, wie Du den neuen Hürlimann findest. Kennst Du Einsiedeln? Das diente ja wohl offensichtlich als Vorlage für „Maria im Schnee“…. schönen Mittwoch! (es geht schon wieder in Richtung Wochenende…. 🙂 ) – herzlichst aus Zürich. A
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Merci viumau!
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