Khaled Alesmael – Ein Tor zum Meer.

Nach seinem bemerkenswerten Roman-Debüt „Selamlik“ hat Khaled Alesmael nun mit dieser Sammlung von Briefen arabischer queerer Menschen erneut ein bewegendes Stück Literatur veröffentlicht, entstanden aus Begegnungen und Interviews, von ihm poetisch verarbeitet…

Die Flucht ist natürlich das grosse Thema. Sowohl bei ihm (in „Selamlik“ wird das ausgiebig beschrieben), als auch bei den weiteren Stimmen, die in „Ein Tor zum Meer“ zu Wort kommen. Es geht um Tötungen, Polizeigewalt, Scheinehen, Verfolgung, sexuellem Missbrauch, Flucht. Es geht aber auch um die wenigen existierenden Orte und Möglichkeiten, an denen sich heimlich und im Verborgenen queere Menschen in der arabischen Welt treffen können.

Khaled Alesmaels Ein Tor zum Meer ist ein literarisches Archiv der Erinnerungen. Eindrücklich skizziert der Autor zehn authentische Schicksale schwuler Männer aus Syrien, Ägypten, Marokko, Irak, Jemen und dem Libanon, die ihm teils auf seiner eigenen Flucht von Damaskus nach Stockholm berichtet, teils als Reaktion auf seinen Roman Selamlik zugespielt wurden. Es geht um Verfolgung und Gewalt, aber auch um Neuanfang und Selbstermächtigung. Indem der Autor dokumentarisches Material mit poetischen Passsagen vermischt, unterstreicht er die emotionale Unmittelbarkeit des Erzählers. Weisst du, was ich mit dem Ausdruck „Lautlos schreien meine?“, fragt einer der Protagonisten. Wer dieses Buch liest, spürt es. (Albino Verlag)

Trotz der brutalen Realität sind in diesem sehr lesenswerten Band, der im Albino Verlag erschienen ist, auch viele Momente der Zartheit, Liebe, Sehnsucht zu spüren, das berührt sehr. Das Buch nimmt den Leser mit in eine andere Welt, die wir privilegierten Europäer uns häufig nicht vorzustellen wagen, ja dies verdrängen. Unsere sogenannte Freiheit lässt uns häufig die Repression, der queere Menschen in anderen Ländern ausgesetzt sind vergessen. Dies darf nicht passieren, denn auch bei uns sind die Freiheiten und Rechte nicht in Stein gemeisselt. Die Motivation des Projekts erklärt er im Epilog in Anlehnung an Martin Luther King so: „Die Homosexuellen an einem Ort sind verantwortlich für die Befreiung der Homosexuellen an jedem anderen.“ In „Ein Tor zum Meer“ geht es um die Definition von Heimat und um die Suche nach einer neuen Identität, nach dem Wunsch so zu leben, wie man leben möchte. Umso erschütternder, dass all diese Männer ihre Familie, ihr bisheriges Leben, ihre beruflichen Ziele, Wünsche, Träume hinter sich lassen müssen, um sicher ihre Sexualität ausleben zu können. Stilistisch bewegt sich das Buch zwischen Briefen, klassischen Interview-Sequenzen, Prosa-Passagen und Chat-Verläufen. Das Buch ist sehr bewegend, erschütternd, wichtig.

„Ein Tor zum Meer“ von Khaled Alesmael, 2022, Albino Verlag, ISBN: 978-3-86300-342-5 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Albino Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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