Giulia Caminito – Das Wasser des Sees ist niemals süß.

Eine Entdeckung! Dabei ist es ist bereits der dritte Roman der italienischen Autorin Giulia Caminito. Und man kann sich seiner Wirkung nicht entziehen – er ist berührend, irritierend, radikal, emotional, alles zugleich. Packend! Ein Pageturner!

So ein aufwühlender Roman, voller Zorn und Wut. Und alles klar und deutlich und nachvollziehbar. Hier schreibt eine grosse junge Stimme Italiens! Kein Wunder, stand „Das Wasser des Sees ist niemals süß“ 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. 

Am Grund des Sees liegt eine versunkene Weihnachtskrippe, sein Wasser schimmert trüb, schmeckt nach Sonnencreme und Benzin. Hier, am Lago di Bracciano, bezieht Gaia mit ihrer Familie eine Sozialwohnung: der Vater, der seit einem Arbeitsunfall im Rollstuhl sitzt, der ältere anarchistische Bruder Mariano, die kleinen Zwillinge – und die Mutter Antonia, die so zupackend wie rücksichtslos alles zusammenhält. Ihre Tochter, blass, sommersprossig, dürr, soll nicht so enden wie sie, Bildung soll der Ausweg für Gaia sein. Doch die erkennt früh, dass Talent und zwanghafter Fleiß nicht ausreichen, um mitzuhalten – wenn man kein liebes Mädchen sein will, den filzstiftgrünen Pullover des Bruders aufträgt und sich kein Handy leisten kann. Konfrontiert mit Herabsetzungen, Leistungsdruck und Orientierungslosigkeit verwandelt sich Gaias stumme Verletzlichkeit in maßlose Wut, die sie zunehmend Grenzen überschreiten lässt. (Wagenbach Verlag)

Es geht um den Aufstieg. Um die Sehnsucht nach einem besseren Leben, einem Entkommen aus den unteren sozialen Schichten. Gaia ist keine Sympathieträgerin, aber man bringt viel Verständnis für sie und ihre Handlungen auf, kann vieles verstehen – selbst ihre sehr eigenwillige Mutter. Die Protagonistin rackert sich ab, Tag für Tag, mühevoll und doch hat sie oft das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Ihre Empfindungen kann man so gut nachvollziehen, es liest sich so authentisch, man meint es kann nur autobiographisch sein und doch erzählt die Autorin im Nachwort, wie der Roman zustande kam und aus welchen Quellen er sich speist. Es ist ein heutiges Buch, ein Roman unserer Zeit, ein Spiegel der Gesellschaft, nicht nur in Italien, wohl in den meisten Ländern Europas. Eine wirklich grosse Lese-Empfehlung von meiner Seite!

„Das Wasser des Sees ist niemals süß“ von Giulia Caminito, 2022, Wagenbach Verlag, ISBN: 978-3-8031-3349-6 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Wagenbach Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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