Was für ein vielversprechender Ring-Auftakt am Opernhaus Zürich! Der Vorabend zum Ring ist musikalisch und szenisch absolut gelungen und macht grosse Vorfreude auf die weiteren drei Abende – die wirklichen Herausforderungen stehen also noch an…
Zugegeben, ein wenig traurig war ich schon, dass der 20 Jahre alte archaische Bob-Wilson-Ring nun abgespielt sein soll, aber es war wohl allen klar, dass Hausherr ANDREAS HOMOKI sich einen Ring zum Abschied seiner Zürcher Intendanz schenken wird. Mit „Rheingold“ hatte nun der Vorabend des Rings seine Premiere und was man aus dem Graben und auf der Bühne zu hören und zu sehen bekommt, macht absolut neugierig auf alles Weitere, auch wenn (szenisch zumindest) alles offen ist. Nach dem tollen Berner „Rheingold“ von Eveline Marciniak war die Erwartungshaltung an das Züricher Haus gross. Man weiss nicht so recht, wohin die Reise gehen wird, aber was es zu sehen gibt, sind wunderbare Einfälle und eine spielfreudige Besetzung bis in die kleinsten Rollen. Nach vielen Jahren der Ring-Interpretation und -Neudeutung mit den unterschiedlichsten Ausprägungen hat Homoki primär die Geschichte erzählt und – wer wusste das nicht – sie hat viel zu bieten. Selten habe ich ein „Rheingold“ gesehen, dass so am Text entlang inszeniert und dennoch voller Sinnhaftigkeit ist, denn Wagners Libretto ist nicht ohne, ebenso sein Anspruch, „Welttheater“ machen zu wollen. Natürlich ist es keine naturalistische 1:1-Nacherzählung, aber es gibt den Drachen und sogar eine Kröte, die kurz durch den Nibelheim-Schrank hüpfen darf. Erstaunlicherweise wirkt das weder platt noch vordergründig, sondern ist stimmig und fühlt sich richtig an. Die Rheintöchter (ULIANA ALEXYUK/Woglinde, NIAMH O’SULLIVAN/Wellgunde und SIENA LICHT MILLER/Flosshilde) geistern zu Beginn in reinem Weiss durch (rhein-)weisse Zimmerfluchten und Betten auf der Drehbühne von Ausstatter CHRISTIAN SCHMIDT (von dem auch die Kostüme sind) – erst Alberich (grossartig, aber noch etwas textunsicher: CHRISTOPHER PURVES) bringt Farbe und die Dunkelheit ins alberne Spiel und setzt die Handlung in Gang. Die Götter, gewohnt überheblich und fernab jeglicher Realität, sitzen in ihrem Gründerzeit-Ambiente und warten nur auf eines – mehr Platz in einer grösseren Burg und so verwundert es am Ende nicht, dass alles beim alten bleibt, sich nichts verändert, nur der Raum für ihr Nichtstun ist grösser geworden. Gold regiert die Welt, da wird uns Zuschauern (mit plakativem Saallicht) auch mehrfach der Spiegel vorgehalten. Froh (OMER KOBILJAK) und Donner (JORDAN SHANAHAN) im klassischen Zwillings-Kricket-Outfit vertreiben sich die Zeit mit Tändeleien, während man das Gefühl hat, Wotans einziger Halt ist sein Speer. Einzig die etwas spröde Göttergattin Fricka (PATRICIA BARDON) scheint an der Rettung der Schwester (KIANDRA HOWARTH als Freia) interessiert. Eine grosse Hilfe ist wohl auch der Loge von MATTHIAS KLINK nicht, eine optisch interessante Studie und Mischung zwischen Lumpazivagabundus und Jack Sparrow alias Jonny Depp. Er tänzelt durchs Leben, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. So viel schöne Ideen – alleine der Moment, in dem die beiden Riesen (DAVID SOAR als Fasolt und OLEG DAVYDOV als Hafner) im eher zünftigen Trachtler-Outfit auf dem Walhall-Gemälde sitzen und die Szenerie überblicken – prima ist das und Sinn macht es auch. WOLFGANG ABLINGER-SPERRHACKEs Mime ist grossartig und man freut sich schon sehr auf seine Schmiede im „Siegfried“ (mein persönlicher Lieblingsabend im Ring). Die Mahnung Erdas (ANNA DANIK) ist eindringlich und glaubhaft, die Urmutter, die Wala, steht alles überstrahlend vor Wotan und spricht. Und so haben die gut zweieinhalb Stunden einen grossen Unterhaltungswert und vergehen wie im Flug. Viele interessante Haus- und Rollendebüts und gleichzeitig auch aus dem Opernstudio besetzt, grosse Spielfreude und Lust machen den Abend zum Erfolg. Aber vor allem, was aus dem Graben tönt, klingt interessant und hat eine Leichtigkeit, die absolut zu dem passt, was es auf der Bühne zu sehen gibt, ein ungewohnt fröhliches und sehr differenziertes Klangbild, ohne die manchmal anstrengende „Wagner-Schwere“. Dennoch hat es den Pathos, den das Werk stellenweise ja auch braucht. Besonders erwähnenswert ist die unglaubliche Textverständlichkeit bei nahezu allen Sänger:innen. Man darf auf die weiteren Abende gespannt sein, sowohl seitens der musikalischen Leitung von GIANANDREA NOSEDA, als auch von Regisseur ANDREAS HOMOKI.
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
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Macbeth – Oper Zürich 29.03.2022
A quiet place – Opéra National de Paris 24.03.2022
L’Olimpiade – Oper Zürich 16.03.2022
Die Mühle von Saint Pain – Theater Basel 06.03.2022
Dialogues des Carmélites – Oper Zürich 27.02.2022
Dialogues des Carmélites – Premiere Oper Zürich 13.02.2022
Cavalleria Rusticana/Pagliacci – Oper Zürich 26.01.2022
Don Giovanni – Oper Zürich 25.01.2022
Das Rheingold – Bühnen Bern 06.01.2022
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