Tristan und Isolde – Oper Zürich 29.06.2022

Fast fühlt es sich an, wie einer der unzähligen Festspielsommer in Bayreuth, wenn man bei über 30 Grad zum Opernhaus Zürich fährt, um wieder einmal „Tristan und Isolde“ zu sehen….

Schon lange nicht mehr eine so tolle Besetzung erlebt, bis in die kleinsten Rollen hervorragend. Die Inszenierung von Claus Guth ist schon etwas älter, aber immer noch toll, stringent, spannend, schlüssig. Natürlich passt das in Zürich, wenn man „Tristan und Isolde“ in der Villa Wesendonck spielen lässt, was wäre näher liegend? Zwei heimlich Liebende, für die es im Grunde genommen kein gutes Ende geben kann und so irren Isolde und Tristan endlos durch die Gänge und Zimmerfluchten, es gibt kein Entkommen, ihre gemeinsame Freiheit finden beide erst im Tod (auf der grossen Tafel im Speisezimmer der Villa). Die Gesellschaft ignoriert die beiden, erstarrt buchstäblich, wenn sie zueinander finden. Das sind starke und zeitlose Bilder. Eine durchdachte und Immer noch sehr gut funktionierende Inszenierung (von 2008). CAMILLA NYLUND debütiert als Isolde und ist extrem stark, manchmal noch etwas textunsicher, aber musikalisch auf dem Punkt. Ihr Partner ist CHRISTIAN WEINIUS, der bis zum Schluss mit seinem hellen, fast schon lyrisch angelegten Tenor ein hervorragender Tristan ist, selten hat man einen Tristan im 3. Aufzug noch so fit und gut bei Stimme gehört, erstaunlich bei dem für GIANANDREA NOSEDA sehr lautem Orchester. Differenzierung ist nicht sein Ding, bisher fand ich jedes Dirigat Nosedas zu laut und zwar auf immer unterschiedlichen Plätzen. Nicht gerade sängerfreundlich, aber ein sehr differenzierter Wagner war das, tolle Tempi, energiegeladen und doch nimmt er sich auch die Zeit und Ruhe, wo es angebracht ist. I like! Und ich weiss, in Zeiten von Bodyshaming ist es nicht ok, etwas über die Figur eines Sängers zu schreiben, aber wenn Sänger wie Weinius sehr stark beleibt sind, dann muss man eben uminszenieren und die Regie dem Sänger anpassen – denn wenn er sich zum Sterben auf den grossen Esstisch legt, hat man zunächst etwas Angst, dass er es nicht hoch schafft und dann liegt da diese Kugel – das ist schon fast komisch und absolut kontraproduktiv. In Zeiten des Regietheaters geht sowas gar nicht mehr, sorry. Das tut mir fast leid für den Sänger, denn Weinius ist ein grandioser Tristan, von ihm will man mehr hören (sehen eigentlich auch, aber nicht so!). Die Inszenierung hat so viele tolle Momente, die immer noch packen, etwa im ersten Aufzug nach dem Trank, wenn Tristan und Isolde wie im Taumel im Schlafzimmer sind, sie gebeugt über dem Sekretär, das Fenster öffnend, er verwirrt sitzend an der Nachttischlampe – was für ein Moment. Für mich – auch nach so vielen besuchten unzähligen Tristan-Vorstellungen – immer wieder ein erhabener musikalischer Moment. Das fährt ein und flashed! Ebenso natürlich im 2. Aufzug „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, beide wie erschöpft vor dem grossen dunklen Durchgang, aus dem dann die grossartige MICHELLE BREEDT als Brangäne für ihr „Einsam wachend“ kurz auftaucht und wieder entschwindet. Bereits seit der Premiere gibt MARTIN GANTNER einen tollen Kurwenal, spielfreudig, absolut textverständlich – toll was er aus dieser Rolle macht. Breedt ebenso als Brangäne, sonst häufig szenisch etwas vernachlässigt, hier als Isoldes Schatten (oder „alter ego“?) omnipräsent und super bei Stimme. Der König Marke von FRANZ JOSEF SELIG tönt eher hell, sehr voluminös, raumgreifend, versöhnend – ein sanftmütiger „Otto Wesendonck“. THOMAS ERLANK mit seinem schönen Tenor ist wie immer top als Hirt/Stimme des Seemanns, ebenso der Steuermann von ANDREW MOORE und der Melot von TODD BOYCE. Was für ein perfekter Cast – Einen schöneren Saisonabschluss hätte ich mir nicht wünschen können, als diesen herrlichen „Tristan“. Und die neue Saison in Zürich starte ich dann auch gleich wieder mit Wagner – der Ring wird fortgesetzt mit der Premiere von „Die Walküre“ am 18. September! Jetzt aber: Pause!

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

Giovanna d’Arco – St. Galler Festspiele 25.06.2022

Lucia di Lammermoor – Oper Zürich 22.05.2022

Arabella – Oper Zürich 15.05.2022

The Rape of Lucretia – Luzerner Theater 13.05.2022

Girl with a pear earring – Oper Zürich 08.05.2022

Das Rheingold – Oper Zürich 03.05.2022

Rigoletto – Oper Zürich 18.04.2022

Macbeth – Oper Zürich 29.03.2022

A quiet place – Opéra National de Paris 24.03.2022

L’Olimpiade – Oper Zürich 16.03.2022

Die Mühle von Saint Pain – Theater Basel 06.03.2022

Dialogues des Carmélites – Oper Zürich 27.02.2022

11 Kommentare

  1. Schlatz

    Hört sich nach einer sehr spannenden Inszenierung von Guth an. Toll, dass Nylund in Zürich rollendebütiert. Interessant die Diskussion um Weinius. Ich hab überhaupt kein Problem mit schwereren Protagonisten. Das ist ja das Schöne an der Illusionsform Oper, dass das Äußere keine große Rolle muss und etwa auch eine 50jährige Sopranistin eine überzeugene Cho-Cho-San sein kann. .

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    1. arcimboldis_world

      Ich stimme Dir da schon teilweise zu, aber das Äussere spielt nun mal eben schon eine Rolle und wenn man einen eher korpulenten Sänger hat, dann kann er eben nicht die gleichen Dinge tun, wie ein schlanker, das ist einfach so und viele Regieeinfälle sind dann einfach peinlich für den Sänger und den Zuschauer und wenn ich beim Tristan fast lachen muss, dann ist das einfach kontraproduktiv. Und natürlich gibt es 50jährige Sopranistinnen, die auch eine Cho-Cho-San überzeugend darstellen (und singen), aber ich habe auch schon eine über 60jährige als Micaela in der „Carmen“ erlebt und sorry, das geht einfach nicht. Weinius finde ich einen wirklich tollen Sänger, aber als Regieassistent und Abendspielleiter muss man dann einfach auch die Möglichkeit haben, alberne Dinge der jeweils neuen Besetzung anzupassen….. anyway. Herzlichst, nach Berlin aus Zürich. A

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