Siegfried – Oper Zürich 09.03.2023

Der neue Zürcher Ring geht nun in die Endrunde und ANDREAS HOMOKI zeigt auch mit „Siegfried“ einen sehenswerten Abend der Tetralogie, musikalisch unter der Leitung von GMD GIANANDREA NOSEDA ist es – anders kann man es nicht nennen – ein Triumph!

„Siegfried“, der zweite Abend des Bühnenfestspiels war schon immer mein Favorit und der musikalisch vielfältigste, interessanteste, aber auch der sprödeste der vier abendfüllenden Opern des „Ring des Nibelungen“. Für die Besetzung von Siegfried und Mime ist es eine Hochleistung, eine wohl unglaubliche Kraftanstrengung und ihnen gebührt zu Recht der grösste Applaus nach einer Vorstellungsdauer von 5.5 Stunden. Immer präzise, strahlend, wohltönend von der ersten bis zur letzten Note ist das Debüt von KLAUS FLORIAN VOGT als Siegfried, bereits nach dem ersten Aufzug mit seinen Schmiedeliedern ist man hin und weg. Glaubwürdig seine Entwicklung vom unschuldigen Kind hin zum gereiften Mann nach der Begegnung mit Brünnhilde, seine darstellerische Leistung reicht von tiefer Traurigkeit mit zarten lyrischen fein differenzierten Momenten bis hin zum kraftvollen und strahlenden Helden mit absolut sicheren Höhen – eine Idealbesetzung, ein langerwartetes Debüt ohne grosses Heldentenor-Gehabe. Was für ein Glücksgriff für diese Ring-Produktion! Mit seinem Gegenpart Mime (WOLFGANG ABLINGER-SPERRHACKE) hat er einen kongenialen Spielpartner, der häufig die vierte Wand durchbricht und uns Zuschauern die Handlung erklärt, das macht Sinn und passt in die einfühlsame Personenregie von ANDREAS HOMOKI. Das heikle Duett zwischen Alberich und Mime zu Beginn des zweiten Aufzugs klingt sicher und textverständlich, während andere Passagen im Laufe des Abends sehr laut souffliert wurden, so dass dies bis in den 2. Rang zu hören war – aber bei diesen unendlichen schwurbeligen Textmassen Wagners ist dies wohl auch vonnöten, der ein oder anderen Texthänger war in dieser zweiten Vorstellung offensichtlich. CHRISTOPHER PURVES hat bereits im „Rheingold“ als Alberich überzeugt, ebenso ANNA DANIK als Erda mit ihrem trockenen, fast schon dämonisch-kraftvollen Alt. REBECA OLVERAs Waldvögelein ist quirlig, geschwätzig und gewohnt flatterhaft unterwegs, wie Erda komplett in weiss gewandet, umsorgt und beschützt sie Siegfried unter ihren grossen Flügeln, ein sehr schönes Bild. DAVID LEIGHs fundierter Bass klingt wunderbar als sterbender Fafner, nachdem er dem imposanten Drachen entstiegen ist (ein Hoch auf die Ausstattung von CHRISTIAN SCHMIDT, dieser nach dem Todesstoss immer noch leicht atmende Drache ist einfach unglaublich!). Und auch im „Siegfried“ brilliert TOMASZ KONIECZNY als Wanderer, seine Stimme und optische Präsenz sind eine Wucht und bis in die letzten Reihen zu spüren. Zu guter Letzt natürlich CAMILLA NYLUNDs Brünnhilden-Debüt, die bereits in der „Walküre“ gezeigt hat, dass ihre Stimme reif ist für diese Partie, die Siegfried-Brünnhilde ist nicht ohne, sie hat keine Zeit zum „Warmlaufen“ – sie erwacht und mit „Heil Dir Sonne“ startet sie in einen einzigen dreissig Minuten dauernden musikalischen Rausch. ANDREAS HOMOKI zeigt auch im „Siegfried“ seinen Sinn für augenzwinkernden Humor, das ist wohltuend erfrischend nach so vielen überinterpretierten Ringzyklen an Häusern weltweit, er erzählt die Geschichte mit ihren vielen fantastischen Facetten, es gibt immer wieder Neues zu entdecken, auch wenn man den Ring schon häufig gesehen und gehört hat. Das ist eine tolle Erfahrung. Sämtliche Begegnungen zwischen Menschen, Göttern, Riesen, Schwarzalben und Getier – die gibt es im „Siegfried“ zuhauf – sind unterhaltsam, emotional, glaubhaft. Zu Beginn öffnet sich der Vorhang und klar ist, es dominieren die Schwarzalben, die weissen Gründerzeit-Räume und Zimmerfluchten, die man bereits von „Rheingold“ und „Walküre“ kannte, sind nun schwarz und düster, Dunkelheit dominiert das Geschehen, die Szene wirkt wie eine Ansammlung überdimensionaler Spielzimmer für das Kind Siegfried, hier kann er sich austoben und vorbereiten für die Welt „da draussen“. Die dunkle und düstere Zeit, die in die „Götterdämmerung“ mündet, ist angebrochen. Das Ende kündigt sich bereits an. Einzig in der Schmiede glüht und dampft die Esse, göttliches strahlendes Weiss gibt es nur bei der Begegnung Wotan und Erda, bevor diese in den ewigen Schlaf zurück versinkt. Erster und zweiter Aufzug sind spannend, kurzweilig, unterhaltsam bebildert, illustriert mit packender Personenregie. Am Walkürenfelsen jedoch scheinen dem Regisseur die Ideen etwas ausgegangen zu sein, hier landen wir dann leider bei Rampensingerei, Kniefall und grosser Operngestik, das nervt dann etwas und ist schade, aber was will man – ehrlich gesagt – hier noch grossartig inszenieren? Dieses ewige hin und her zwischen Brünnhilde und Siegfried, diese Mischung aus Freude und Zweifel bis zu den letzten Spitzentönen bei „Leuchtende Liebe, lachender Tod“. Zumindest landen sie final konsequenterweise im bereit stehenden Doppelbett und geniessen beim fallenden Vorhang ihr frisch gefundenes Glück – man weiss ja, es wird nicht lange halten, denn Gunther, Hagen und Konsorten lauern schon. Highlight dieser Produktion ist dieser unglaublich packende erste Aufzug! Noseda wurde zu Recht als „Best Conductor 2023“ des OPER! AWARD ausgezeichnet, denn was aus dem Graben zu hören ist, tönt kraftvoll und facettenreich – wirft man vom Rang aus einen Blick nach unten, so ist man jedesmal aufs neue überrascht, wie riesig und überbordend doch die Orchesterbesetzung bei Wagner ist. Alleine schon wegen der Orchesterzwischenspiele, aber vor allem wegen des Vorspiels zum dritten Aufzug, zur Szene Erda/Wotan, lohnt sich der Vorstellungsbesuch. Was für eine Wucht, was für eine Strahlkraft, was für eine gezielt eingesetzte Dynamik, sämtliche Passagen optimal austariert und sängerfreundlich, mit stellenweise (wie ich finde) wohltuend zügigen Tempi. Und über allem schwebt die düstere Kontrabass-Tuba, dominiert die fein aufgefächerte Partitur. „Siegfried“ ist ein musikalisches Meisterwerk. Noseda und die PHILHARMONIA ZÜRICH bringen es zum Strahlen, zum Leuchten – schon lange nicht mehr so einen grossartigen „Siegfried“ gehört (Hm, zuletzt vielleicht unter Kirill Petrenko in Bayreuth?). Nun also sehr gespannt auf das wohl im Herbst zu erwartende grosse Ring-Finale mit der „Götterdämmerung“. Schon jetzt kann man sagen, dass Andreas Homoki sich mit diesem neuen Ring gebührend von seiner Zürcher Intendanz verabschiedet.

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

Die Walküre – Bühnen Bern 19.02.2023

Eugen Onegin – Oper Zürich 16.02.2023

Der Rosenkavalier – Luzerner Theater 15.02.2023

La Bohème – Oper Zürich 28.12.2022

Eliogabalo – Oper Zürich 26.12.2022

Tosca – Oper Zürich 20.12.2022

Faust – Oper Zürich 06.11.2022

Barkouf – Oper Zürich 30.10.2022

Il Trovatore – Oper Zürich 06.10.2022

Die Walküre – Oper Zürich Premiere 18.09.2022

Tristan und Isolde – Oper Zürich 29.06.2022

Giovanna d’Arco – St. Galler Festspiele 25.06.2022

6 Kommentare

  1. Alexander Carmele

    Meine Güte … du schreibst besser als die meisten modernen Literaten. Toll!

    „Die dunkle und düstere Zeit, die in die „Götterdämmerung“ mündet, ist angebrochen. Das Ende kündigt sich bereits an. Einzig in der Schmiede glüht und dampft die Esse, göttliches strahlendes Weiss gibt es nur bei der Begegnung Wotan und Erda, bevor diese in den ewigen Schlaf zurück versinkt.“

    Ich habe jedes Wort genossen. Freut mich, dass du solch einen zauberhaften Abend hattest!!

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    1. arcimboldis_world

      Ach, Du Lieber, danke für die reizenden Worte. Ich schreibe einfach wie es kommt, es fliesst ja dann so dahin, aber schön, liest Du es gerne. Und ich hatte wirklich einen wunderbaren Abend, auch wenn das natürlich schon auch immer anstrengend ist…. und ich am nächsten Tag schon etwas erschlagen bin. Dafür ist dieses Wochenende nun wirklich ruhig. Erholsame Grüsse nach Berlin! Herzlichst aus Zürich, A.

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    1. arcimboldis_world

      Ja, das wirklich ein „Sängerfest“, um mal dieses etwas abgedroschene Wort zu gebrauchen. Der Vogt war nach den drei Aufzügen mit seiner Stimme immer noch frisch und klar und klang einfach toll. Was für eine super Besetzung. Das war wirklich herrlich, ich liebe ja den „Siegfried“, das ist echt mein Lieblingsabend im Ring, so vielseitig und musikalisch abwechslungsreich. Ein tolles Werk. Herzlichst nach Berlin, A.

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