Es lohnt sich immer wieder, den Jahreswechsel bei einer launigen Vorstellung in der Opéra de Lausanne zu verbringen. In diesem Jahr gab es nun zum Jahresende den Alltime-Klassiker: Benatzkys „L’Auberge du Cheval blanc“ von jeglichem Tiroler Mief befreit in einer herrlich prickelnden Revue-Fassung…
Bereits bei der obligatorischen Begrüssungsrede und Einladung zum gesponserten Pausen-Champagner durch Intendant Éric Vigié konnte man sich nicht sicher sein, ob er als etwas muffig wirkender Patron bereits Teil der Inszenierung ist. Das Operetten-Feuerwerk zündet direkt im Anschluss. Regisseur GILLES RICO verzichtet bis auf wenige witzig-skurrile Zitate auf altbackenen Alpenchic und verlegt die Handlung in das Ambiente eines Revuetheaters (in einer wirklich tollen Ausstattung von KAROLINA LUISONI/Kostüme und BRUNO DE LAVENÈRE/Bühnenbild) – das passt und bringt die Musik zum Leuchten – wird im ersten Teil noch versucht der Geschichte um Josepha und Leopold zu folgen, verzichtet man nach der Pause weitestgehend darauf und zeigt eine Collage an skurrilen Szenen, die „Love-Story“ gerät etwas aus dem Fokus. Der zweite Teil hatte leider nicht ganz das Tempo der ersten Stunde und hätte stellenweise etwas straffer sein können – macht nichts, denn alleine der durch den Wald geisternde Kaiser Franz Joseph I. in Frauenkleidern (köstlich: PATRICK LAPP), der – an einer langen Zigarettenspitze ziehend – über das Leben und die Politik philosophiert ist grossartig und eines der darstellerischen Highlights an diesem schillernden Operetten-Abend. Publikumsliebling ist jedoch zweifelsohne MISS HELVETIA (BARBARA KLOSSNER) als Kathi mit ihren amüsanten Jodler- und Handorgel-Einlagen, eine schillernde Mischung aus Conférencier (samt Stuhlchoreographie als Cabaret-Zitat), häufig über die Bühne schwebender Amor und Pausengirl – wenn man ehrlich ist, bringt Klossner auch musikalisch die beste Leistung des Abends. Umwerfend zickig und mit grossen Gesten darstellerisch ideal besetzt ist FABIENNE CONRAD als Josepha, stimmlich leider eher schwach und häufig von unserem Platz in der zweiten Reihe fast nicht zu hören, umso stärker dafür ihr – um einen Kopf kleinerer – Spielpartner MATHIAS VIDAL als Leopold, voller Energie und Tatendrang. Der norddeutsche Fabrikant Giesecke ist in dieser Fassung ersetzt durch den Marseiller Kaufmann Napoléon Bistagne (PATRICK ROCCA), CLÉMENTINE BOURGOIN ist seine Tochter Sylvabelle und JULIAN DRAN der Anwalt Maître Florès. Und wie bereits bei „Le chanteur de Mexico“ (2017 mit der grossartigen Rossy de Palma) steht und fällt der Abend in Lausanne mit dem spielfreudigsten aller Chöre. Da wird getanzt (Choreographie: JEAN-PHILIPPE GUILOS), gespielt und ge-operettelt was das Zeug hält, ohne zu übertreiben oder zu überspielen. Davon kann man an vielen grossen Häusern nur träumen. Bravi Bravi Bravi! Gezeigt wird die französische Fassung von PAUL BONNEAU, die zwischen 1948 und 1968 am Pariser Théâtre du Châtelet mehr als 1700 Vorstellungen erlebte, diese enthält auch zwei Songs von Robert Stolz, die in der deutschen Fassung fehlen. Aus dem Graben spielte die SINFONIETTA DE LAUSANNE unter der Leitung von JEAN-YVES OSSONCE lustvoll die schmissigen Gassenhauer und versetzte das Publikum bereits am frühen Abend in eine funkelnde Silvesterstimmung. Herrlich!
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
„Anna Bolena“ Premiere – Oper Zürich 05.12.2021
„Il Trovatore“ – Oper Zürich 28.10.2021
„Salome“ – Oper Zürich 17.10.2021
„Œdipe“ – Opéra National de Paris 11.10.2021
„Tosca“ – Oper Zürich 03.10.2021
„Guerre et paix“ – Grand Théâtre de Genève 19.09.2021
„L’incoronazione di Poppea“ – Oper Zürich (WA) 14.09.2021
„Salome“ – Oper Zürich Premiere (livestream) 12.09.2021
„La Bohème“ – Teatro Comunale di Bologna 05.08.2021
„La vedova allegra“ – Teatro Lirico Giuseppe Verdi Trieste 25.07.2021
“Die Geschichte vom Soldaten“ – Oper Zürich 11.06.2021
„Das schlaue Füchslein“ – Luzerner Theater 30.05.2021
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