Donizettis grosser Durchbruch und sein Weltruhm gründete sich wohl auf „Anna Bolena“, seiner 35. (!!!) Oper, ein Werk – noch belcantistisch, aber schon sehr der Romantik zugewandt und mit der titelgebenden Hauptrolle eine grosse Herausforderung für jede Sopranistin…
Natürlich ist es für DIANA DAMRAUs Rollendebüt als Anna Bolena in Zürich nicht ganz einfach, mit dem grossen Erbe und dem immer noch sehr präsenten Eindruck, den die kürzlich verstorbene Edita Gruberova hier hinterlassen hat – Gruberova sang hier in weit über 200 Vorstellungen alle grossen Partien ihres Fachs und eben auch die Anna Bolena. Der Premierenabend startete nach einer kurzen Begrüssung durch Andreas Homoki dann auch mit einer stillen Gedenkminute für Edita Gruberova. 2018 gab es an der Oper Zürich einen Gala-Abend mit Gruberova zu ihrem 50. Bühnenjubiläum, an dem sie Arien aus den Königinnendramen Donizettis zum Besten gab. All das mag vielleicht auch der Grund sein, warum Damrau auf grosse Schnörkeleien und Verzierungen verzichtete und in dieser Premiere eine musikalisch sehr schlank angelegte Primadonna zu hören war. Es war immerhin ihr Rollendebüt als Anna Bolena nebst starken Sängerkolleg:innen – der Druck muss für sie immens gewesen sein. Richtig also der Entscheid für eine ganz eigene musikalische Rollengestaltung. Mit KARINE DESHAYES als Giovanna Seymour (ebenfalls mit Rollen- und ihrem Hausdebüt) stand ihr eine äusserst starke Kollegin, mit einem vor Kraft strotzenden Mezzosopran an der Seite. Damraus Stimme ist wie immer wunderschön und strahlend, aber eben nicht allzu gross und so hatte man am Premierenabend häufig das Gefühl, sie nimmt sich bewusst zurück, eine kluge und sichere Entscheidung – es ist kein Wettbewerb, gross aufzutragen ist nicht wichtig. In ihrer Ausgestaltung zählen die vielen stillen und intimen Momente, anstatt hinaus geschmetterte Koloraturen. Irgendwie ist das fast schon wohltuend. Ihr Rollendebüt als „Maria Stuarda“ vor 3 Jahren (ebenfalls in Zürich) hat mich insgesamt mehr überzeugt, aber das mag auch mit dem Stück zu tun haben. „Anna Bolena“ hat ziemliche Längen und Regisseur DAVID ALDEN (der auch bereits „Maria Stuarda“ in Zürich auf die Bühne brachte und wohl auch demnächst mit „Roberto Devereux“ die Trilogie abschliessen wird…) inszenierte den Abend handwerklich solide, aber nicht besonders spannend oder mit einer neuen Sichtweise. Und so agieren die Sänger:innen allzu häufig mit wahllosen, fast schon beliebigen Gängen, den üblichen platten Operngesten und Kniefällen oder sitzen (weil es schön aussieht) auf diversen Stühlen und Betten. Das ist in Ordnung und ab und zu muss man sogar etwas schmunzeln, etwa wenn der grüne Rasenteppich penibel und typisch englisch mit der Schere auf eine korrekte Länge gestutzt wird. Und man muss erwähnen, dass sich die choreographische Arbeit (ARTURO GAMA) mit dem Chor (Einstudierung: ERNST RAFFELSBERGER) in dieser Inszenierung gelohnt hat und das Statuarische dadurch etwas aufgelockert wird. Die Ausstattung von GIDEON DAVEY ist zweckmässig, folgt einer gewissen formalen Ästhetik, ist insgesamt eher reduziert; einige Versatzstücke – wie etwa die grosse und alles umfassende Steinmauer – kannte man ja bereits aus „Maria Stuarda“. Das Setting und die Kostüme sind zeitlich nicht wirklich verortet, bewegen sich zwischen historisch und zwanzigstem Jahrhundert – die Degradierung und Austauschbarkeit von Frauen als Lustobjekt für Männer in Machtpositionen ist eben zeitlos – das bleibt als Erkenntnis, ebenso das starke Bild gleich zu Beginn, wenn die Tochter Annas und Enricos (die spätere Elisabeth I) ihre Krone zerreißt: „Ich wollte eine Krone und bekam eine Dornenkrone“. Sämtliche Frauen König Heinrichs VIII. waren austauschbar und Kalkül. Das wird auch klar und deutlich erzählt. Eine ganz eigene Ästhethik und ein wirklicher Hingucker sind die dezenten Videoprojektionen von ROBI VOIGT. Aber nochmals zur Besetzung: den beiden Frauenfiguren von Damrau und Deshayes stehen zwei ebenso starke Männer gegenüber: LUCA PISARONI als Enrico VIII. ist mit seinem wohlklingenden dunklen Bass-Bariton stimmlich omnipräsent, sieht sehr gut aus (im Gegensatz zum Original), ist darstellerisch eine Wucht und absolut glaubwürdig, ebenso der Riccardo Percy von ALEXEY NEKLYUDOV, der ein wenig an eine zartbesaitete Künstlerpersönlichkeit der Romantik erinnerte. NADEZHDA KARYAZINA in der Hosenrolle des Smeaton legt sich leidend und schmachtend für Anna Bolena ins Zeug, ihre Stimme muss man mögen, für meinen Geschmack in dieser Vorstellung viel zu undifferenziert und aufdringlich laut. Äusserst angenehm im Ohr dagegen bleibt der Tenor von NATHAN HALLER als Sir Hervey, sowie STANISLAV VOROBYOV als Rochefort. Am Pult der Philharmonia Zürich stand wie bereits bei „Maria Stuarda“ ENRIQUE MAZZOLA, ein Kenner und ausgewiesener Spezialist dieses Genres, der seiner Sänger:innen-Riege genug Ruhe und Atempausen gönnte und auf jeden unnötig treibenden Moment verzichtete – nach gut 3.5 Stunden dann erlösender Applaus für alle Beteiligten im Saal und auf der Bühne…
Zuletzt besuchte Vorstellungen:
„Il Trovatore“ – Oper Zürich 28.10.2021
„Salome“ – Oper Zürich 17.10.2021
„Œdipe“ – Opéra National de Paris 11.10.2021
„Tosca“ – Oper Zürich 03.10.2021
„Guerre et paix“ – Grand Théâtre de Genève 19.09.2021
„L’incoronazione di Poppea“ – Oper Zürich (WA) 14.09.2021
„Salome“ – Oper Zürich Premiere (livestream) 12.09.2021
„La Bohème“ – Teatro Comunale di Bologna 05.08.2021
„La vedova allegra“ – Teatro Lirico Giuseppe Verdi Trieste 25.07.2021
“Die Geschichte vom Soldaten“ – Oper Zürich 11.06.2021
„Das schlaue Füchslein“ – Luzerner Theater 30.05.2021
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