Die Emilia Romagna (und die Lombardei) ist alleine schon wegen Roncole und Busseto natürlich eher Verdi-Territorium und der Meister hier sehr omnipräsent, dennoch lässt man sich die Gelegenheit einer „La Bohème“ im Teatro Comunale di Bologna natürlich nicht entgehen..
GRAHAM VICKs Inszenierung ist frisch und lebensnah und hat trotzdem das kleine Quäntchen an Kitsch, was dieses Stück für meinen Geschmack auch unbedingt braucht. Das liegt grossenteils daran, dass eine überwiegend junge und agile Besetzung auf der Bühne steht und das Leben der „Bohème“ glaubwürdig verkörpert. Lebenslust und kreatives Potential in der Künstler-WG sind spürbar und präsent, umso krasser erscheint einem somit Mimis Krankheit und Tod – dieser schmerzhafte Einbruch in diese Idylle ist schmerzhaft und berührt zum Finale sehr, wenn alle in sommerlich bunter Kleidung im Sommerlicht der leergeräumten WG-Mansarde das Ende Mimis nicht ertragen können, den Raum verlassen, den Tatsachen entfliehen, damit nichts mehr zu tun haben wollen. Einzig Marcello wirft über Mimis Leichnam noch ein Laken, bevor auch er den Raum verlässt. Das macht betroffen, wenn sich auf die Schlussakkorde der Vorhang senkt. Auch im 3. Akt zeigt Vick die Realität vor den Toren Paris, in den Banlieus, hier wird gedealt, geprügelt, Korruption und Prostitution ist der Alltag, selbst die flanierende uniformierte Staatsgewalt verschwindet kurz für einen Quickie in der Ecke. Der zweite Akt dagegen das pure Gegenteil, bei Momus sieht man eine Mischung aus amerikanisch-norwegischem Winter-Kitsch, der Chor pandemie-bedingt mit Mund-Nasenbedeckung, der Freeze vor der Pause ein sehr schönes Bild. Eine absolut gelungene und sehr berührende Inszenierung (Ausstattung: RICHARD HUDSON). FRANCESCO IVAN CIAMPA dirigiert diesen Puccini hinreissend und fast schon poppig modern, das klingt völlig entstaubt und losgelöst von den typischen Puccini-Kantilenen, dennoch hat die Musik so viel Italianità, die es braucht – wundervoll! Die Besetzung lässt keine Wünsche offen: VINCENZO NIZZARDO ist ein agiler Marcello, zusammen mit NINA SOLODOVNIKOVA (Musetta) eine ideale Paarung, selten eine Musetta erlebt, die den Charakter so punktgenau auf die Bühne bringt! CRISTIAN SAITTAs profunder Bass überzeugt als Colline nicht nur in seiner Mantelarie, der Schaunard von PIERLUIGI DILENGITE ist der einzige, der bei den Männern nicht ganz mithalten kann. ALESSANDRO SCOTTO DI LUZIOs Rodolfo steigert sich ab Beginn zunehmend bis zum vierten Akt, stellenweise hätte man sich fast gewünscht, er nimmt sich etwas zurück und singt etwas differenzierter, seine Stimme ist jedoch toll. Und allen voran eine grossartige, sanfte, glaubhafte, sehr berührende Mimi von KAREN GARDEAZABAL. Bravi a tutti! Was für eine tolle „Bohème“!
Zuletzt besuchte Vorstellungen:
„La vedova allegra“ – Teatro Lirico Giuseppe Verdi Trieste 25.07.2021
“Die Geschichte vom Soldaten“ – Oper Zürich 11.06.2021
„Das schlaue Füchslein“ – Luzerner Theater 30.05.2021
„Intermezzo“ – Theater Basel 21.05.2021
„Les Contes d’Hoffmann“ – Premiere (livestream) Oper Zürich 11.04.2021
„Der Rosenkavalier“ – Bayerische Staatsoper München – Online-Premiere 21.03.2021
„Orphée et Euridice“ – Premiere (livestream) Oper Zürich 14.02.2021
„Il crepuscolo dei sogni (UA)“ – Teatro Massimo Palermo (livestream) 26.01.2021
„Un ballo in maschera“ – Oper Zürich (stream) 17.01.2021
Könnte sein, dass man im Tetro Comunale di Bologna sogar bessere Oper zu hören und sehen bekommt, als in der übderdimensionierten, auf Show und Massenszenen ausgerichtetetn Scala di Milano !?
LikeGefällt 1 Person
Das könnte durchaus so sein, ja! 🙂 An der Scala zählen eben immer Namen, Namen, Namen – wie an allen grossen Häusern, das ist ja manchmal auch ganz schön, aber ich finde, die wirklich spannenden Sachen sieht man an eher kleineren Häusern, die sind mutiger und spielen auch mal aussergewöhnliche Stücke, nicht ewig das übliche Repertoire, ich versuche immer eine gute Mischung zu finden…. italienische Oper in Italien ist natürlich immer wunderbar! Herzlichst aus Zürich! A.
LikeLike