Die Geschichte vom Soldaten – Oper Zürich 11.06.2021

Nun sind also die Theater wieder geöffnet, zwar noch nicht wirklich mit grossen Produktionen und vollem Haus, aber auf dem besten Weg dahin. Bis es soweit ist, zeigt die Oper Zürich (immer noch etwas zögerlich) ihren „kleinen Pandemie-Spielplan“: den wunderbaren neuen Ballett-Abend „Walking Mad“, diverse Konzerte und Liederabende und kurzfristig von Hausherr ANDREAS HOMOKI auf dem hochgefahrenen Orchestergraben, vor dem eisernen Vorhang inszeniert: Strawinskys „Die Geschichte vom Soldaten“…

Im Zuschauerraum dürfen mittlerweile wieder 100 Personen sitzen. Auf der Bühne befinden sich sieben Mitglieder der PHILHARMONIA ZÜRICH und die beiden Sänger RUBEN DROLE (Soldat/Erzähler) und MARTIN ZYSSET (Teufel/Erzähler) – das ist nicht einmal die ursprünglich von Strawinsky geplante „kleine“ Besetzung für dieses „Stück zu lesen, zu spielen und zu tanzen“. Das Setting besteht aus 2 Stühlen, dem Tornister, schwarzen Kostümen für alle Beteiligten und dennoch erzählt sich dieses grossartige Musiktheater prachtvoll und farbenfroh in vielen Facetten. Zu verdanken ist dies der grossen Spielfreude aller Beteiligten, dem punktgenauen Licht- und Schattenspiel von FRANCK EVIN und einer intensiven Personen-Regie Homokis. Fast findet man es schade, dass dieses Stück so selten gespielt wird und man es nur als „Notlösung“ wie jetzt in Zürich hervorkramt – denn es gibt immer wieder interessante Einrichtungen (man kann es kaum glauben, aber ich habe das Stück erstmals 1992 in München gesehen: in einer Fassung mit der grossen Martha Mödl als Mutter und Jan Zinkler als Soldaten…). Strawinsky hat „Die Geschichte vom Soldaten“ zusammen mit seinem Librettisten, dem Dichter Charles Ferdinand Ramuz, im Wanderbühnen-Format entwickelt, das passt natürlich in die heutige Pandemie-Zeit wie die Faust aufs Auge. Das Stück selbst bietet alles, was modernes Musiktheater braucht, etwas Pathos und Poesie, stark akzentuierte und facettenreiche Musik (die Strawinsky immer bietet!) und etwas Dramatik. Die Moral des Stückes mag man heutzutage etwas belächeln, es erscheint ein wenig zu moritatenhaft, bietet aber für die Besetzung eine grosse Bandbreite, jeden einzelnen Charakter zu formen und gross auszuspielen. Überaus verständlich deklamieren und rezitieren die beiden Protagonisten ihren Text, das wirkt schon fast ein wenig altmodisch, während an den meisten Sprechtheatern heutzutage eher die Schludrigkeit gepflegt wird. Ruben Drole neigt manchmal zum operettenhaften Gestus, Zysset befindet sich häufig am Abgrund und droht mit allzu grossem Pathos abzustürzen – dennoch, eine kleine und äusserst feine Produktion mit hervorragenden Musikern, die teilweise in die Handlung mit einbezogen werden. Einmal mehr zeigt sich, dass Homoki sein Handwerkszeug als eher bodenständiger Regisseur beherrscht. Man fragt sich, warum ein Haus wie Zürich nicht häufiger derartige Preziosen in den Spielplan aufnimmt – es gibt unzählige Kleinformate und witzige Einakter (z.B. aus den 20er Jahren), die man mit einfachen Mitteln realisieren könnte. Es braucht nicht immer grosse Oper. Manchmal ist weniger eben mehr. Vor der Sommerpause gibt es in Zürich am 20. Juni 2021 noch die letzte Premiere der Saison: „Lucia di Lammermoor“ (ML: Speranza Scapucci/Regie: Tatjana Gürbaca) – und wenn alles gut geht, können wir ab September wie gewohnt in die neue Saison starten und uns wieder regelmässig dem schönsten Vergnügen der Welt hingeben: (Grosse) Oper. Fingers crossed!

Letzte Opernvorstellungen:

„Das schlaue Füchslein“ – Luzerner Theater 30.05.2021

„Intermezzo“ – Theater Basel 21.05.2021

„Les Contes d’Hoffmann“ – Premiere (livestream) Oper Zürich 11.04.2021

„Der Rosenkavalier“ – Bayerische Staatsoper München – Online-Premiere 21.03.2021

„Orphée et Euridice“ – Premiere (livestream) Oper Zürich 14.02.2021

„Il crepuscolo dei sogni (UA)“ – Teatro Massimo Palermo (livestream) 26.01.2021

„Un ballo in maschera“ – Oper Zürich (stream) 17.01.2021

„Simon Boccanegra“ – Premiere (livestream) Oper Zürich 06.12.2020

„Boris Godunow“ – Oper Zürich (stream) November 2020

„7 Deaths of Maria Callas“ – Bayerische Staatsoper München (livestream) 05.09.2020

„Operettengala Camilla Nylund & Piotr Beczala“ – Oper Zürich 12.07.2020

„Iphigénie en Tauride“ – Oper Zürich 16.02.2020

„Wozzeck“ – Oper Zürich 09.02.2020

„Salome“ – Luzerner Theater 17.01.2020

„Martha oder der Markt zu Richmond“ – Oper Frankfurt 31.12.2019