McAfees dritter Roman „Blütenschatten“ ist ein Künstlerinnenroman. Oder ist es doch nur eine banale Liebesgeschichte zwischen einer Sechzigjährigen und ihrem Assistenten der jünger ist, als ihre Tochter….? So einfach ist es nicht. Es ist ein hochkomplexes Psychogramm mit Page-Turner-Qualität…
Die Autorin, ursprünglich Feuilleton-Redakteurin bei der „Financial Times“ und anschliessend Gründerin und Herausgeberin der Literaturbeilage des „Guardian“, erschuf mit ihrer Protagonisten Eve Laing einen interessanten Charakter, der es dem Leser schwer macht, so etwas wie Empathie zu empfinden. Dennoch liest man dieses hochpsychologische Geflecht ihrer privaten Verhältnisse sowie die stellenweise sehr klischeehaften Eindrücke der Londoner Kunstblase mit grossem Interesse und verliert sich nach und nach im Sog der Geschichte. Aber genau diese vermeintlich vordergründige Oberflächlichkeit ist packend und einige der Personen erinnern stark an lebende Persönlichkeiten, wie etwa eine gewisse Ähnlichkeit der grossen Rivalin mit der Performance-Künstlerin Marina Abramovic. Kennt man sich ein klein wenig im Kunstbetrieb aus, ist der Plot mit seinen vielen Anspielungen sehr amüsant, weil doch sehr real und immer auch mit einem Hauch Ironie…
Eve – eine Künstlerin mit einem Faible für Blumen und junge Männer – bereitet in London eine große Museumsretrospektive vor. Aber ihr Leben ist in Aufruhr: Ihre Ehe steht vor dem Aus, ihre Tochter ist eine Enttäuschung, ihre größte Rivalin setzt ihr zu, und ihre Affäre mit dem weitaus jüngeren Luka ist so berauschend wie gefährlich. Doch Eve ist alles andere als ein zartes Pflänzchen. (Diogenes Verlag)
Sprachlich ist „Blütenschatten“ hervorragend, die Sprünge zwischen den einzelnen Ebenen machen Sinn, sind nachvollziehbar, Eve ist psychologisch interessant, glaubwürdig, allerdings als Person eher unsympathisch – macht nichts, denn wirkliche Sympathieträger gibt es in diesem Roman sowieso keine, alle arbeiten nur an ihrem Weg, an ihrer Karriere, sei es die Künstlerin selbst, ihr Lover, ihre Assistent:innen, ihr Mann, ihre Rivalin. Gute Voraussetzung also für eine spannende Lektüre. Dennoch zieht sich der Roman vor allem in den ersten Kapiteln etwas in die Länge und die fortwährend zitierte Blumen- und Pflanzenwelt ist irgendwann ermüdend und nutzt sich ab. Aber sie dient auch als gute Metapher für einen Lebenszyklus, für das Aufblühen und das Verblühen. Erzählen kann Annalena McAfee, denn irgendwann setzt er ein, dieser Page-Turner-Moment, ab dem man den Roman nicht mehr aus den Händen legen will, so sehr ist man dabei und möchte unbedingt wissen, was denn nun am Ende dieses langen Abendspaziergangs auf Eve wartet, man vermutet es fast, ist dann aber doch erschüttert, wenn man sich dem Ende des Romans nähert – „Blütenschatten“ ist einer dieser Romane im Bereich Unterhaltungsliteratur mit grossem Aha-Effekt am Ende, aber ich will hier nicht spoilern….
„Blütenschatten“ von Annalena McAfee, 2021, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07113-9 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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