Seit „Das Ende von Eddy“ ist Édouard Louis wohl einer der Stars der französischen Literaturszene, wütend, autobiographisch, aber dennoch mit der richtigen Distanz blickt er auf sein junges Leben, zieht Bilanz, zeigt den französischen Alltag, fernab vom alles überstrahlenden Glanz der Hauptstadt…
Bis anhin hatte man den eher unguten Eindruck vom Vater als gewalttätigen, homophoben Macho. Nun erfährt man in liebevollen, fast zärtlichen Beschreibungen, dass auch ein anderes Bild existiert und der Vater sogar sorgsam versteckte feminine Seiten hat. Das liest sich sehr berührend und zeichnet eine komplett neue Sichtweise auf die Herkunft von Louis. Erneut sind es die kraftvollen Beobachtungen, eigentlich nur Fragmente, die dieses dünne Bändchen so lesenswert machen
»An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung«, lautet der erste Satz in Édouard Louis‘ Roman »Das Ende von Eddy«. In seinem Buch »Wer hat meinen Vater umgebracht« sieht Louis das anders, mittlerweile versteht er die Wutausbrüche seines Vaters, der unter der sozialen Ungerechtigkeit einer Gesellschaft leidet, die für Menschen wie ihn keinen Platz hat. Louis erinnert sich an einen liebevollen und fürsorglichen Vater, der seinem Sohn wünscht, aus den einfachen Verhältnissen auszubrechen. Édouard Louis hat es geschafft. Eine überwältigende Hommage an den eigenen Vater und dessen gescheiterte Träume. (S. Fischer Verlage)
Für Louis ist eines klar – das unglückliche Leben seines Vaters ist das Ergebnis misslungener Politik von Chirac, Hollande und Sakozy bis hin zu Macron, gegen Ende wird der Roman eine einzige grosse Anklage und eine Quasi-Bestätigung für die Bewegung der Aufständischen (wie etwa der gilets jaunes) gegen das französische Establishment, gegen die aktuelle französische Politik. Das Buch ist auch ein politisches Buch, es ist aber primär eine späte Liebeserklärung, eine Versöhnung des Autors mit seinem Vater. Die Bücher von Louis sind thematisch in gewisser Art und Weise repetitiv und es wäre interessant etwas komplett anderes von ihm zu lesen, etwas weniger autobiographisches. Mit dem was er bis anhin verfasst hat, ist er jedenfalls unbestritten einer der grossen zeitgenössischen französischen Autoren. Next: „Die Freiheit einer Frau“…
„Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis, 2019, S. Fischer Verlage, ISBN: 978-3-10-397428-7 (Werbung)
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Vielen Dank für den Tipp. Ich muss zwar den koreanischen Krimi noch lesen, aber auch diesen Autor merke ich mir mal vor. Ein Buch, das mit „An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung“ besitzt in jedem Fall eine gewisse Verve, die mich interessiert. Ich wünsche einen guten Rutsch!
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Édouard Louis finde ich wirklich einen tollen Autor! Ich lese gerade sein ganz neues Buch! für mich ein grosser französischer Zeitgenosse! Herzlichst aus Zürich. A.
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Danke für diese Besprechung. Edouard Louis habe ich sicher auf meiner Leseliste. Ich habe es kürzlich mit Annie Ernaux probiert, eine Kollegin mit ähnlichem Ansatz, war aber nicht restlos glücklich. Aber vielleicht habe ich einen weniger komplizierten Zugang zu Louis als zu Ernaux.
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Ich glaube von Annie Ernaux habe ich auch schon mal was gelesen. Bin mir jetzt gar nicht sicher. Aber Louis finde ich wirklich super. Der spricht mir in so vielen Dingen aus der Seele, aus dem Herzen. Ich kann so viele Dinge von ihm verstehen und nachvollziehen. Herzlichst aus Zürich. A.
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