Immer dem Leistungsdruck ausgesetzt, immer funktionieren, es zählt nur ein schöner und funktionierender Körper: das ist das Credo eines Tänzer:innen-Lebens. Drastisch, kraftvoll, brachial zeigt die argentinische Performerin MARINA OTERO mit fünf Tänzern am Zürcher Theater Spektakel die Produktion „FUCK ME“ und erzählt autobiographisch davon, was es heisst, seinen Körper zu schinden, bis er nicht mehr funktioniert…
Die Produktion ist der vierte Teil des langjährigen Projektes „Recordar para vivir/Remember to live“ (ANDREA (2012), REMEMBER 28 YEARS TO LIVE 50 MINUTES (2015), REMEMBER 30 YEARS TO LIVE 65 MINUTES (2015) und jetzt FUCK ME), in dem sie offenherzig und schonungslos über ihr Leben und den Leistungsdruck in unserer Gesellschaft berichtet. Das ist stellenweise bis ans Unerträgliche ausgereizt, eine Mischung aus Filmdokumenten, Tanz, Musik – teils mit treibenden Beats, teils mit schnulzigen Songs. Marina Otero selbst sitzt an der Seite und erzählt aus ihrem Leben, berichtet vom Grossvater, dem Tod der Grossmutter, von den Anfängen ihrer Tanzkarriere und der totalen Hingabe und Verausgabung bis zur Rücken-Operation und den daraus resultierenden Schmerzen und Einschränkungen. Die fünf Tänzer geben dazu Statements, setzen ihre Anweisungen um, die meiste Zeit nackt und nur mit Springerstiefeln bekleidet, das macht sie verletzlich, angreifbar, ausgestellt. Wie Marionetten werden sie von Otero geschunden, befehligt, ausgenutzt, während sie seitlich sitzt, redet, raucht. Dem Zuschauer ist das stellenweise unangenehm, nicht wegen der Nacktheit, eher wegen der ausgelieferten, schwitzenden, offensichtlich an die Grenzen gehenden Körper, die sich mit grosser Wucht auf den Boden werfen, stellenweise wirkt das wie ein Akt der Selbstzerstörung.
«Ich habe mich immer im Mittelpunkt gesehen, als Heldin, die sich an allen und allem rächt. Aber mein Körper war nicht stark genug. Heute überlasse ich meinen Platz den Darstellern und schaue zu, wie sie ihre Körper für meine narzisstische Sache zur Verfügung stellen.» Tatsächlich sitzt die Tänzerin Marina Otero in «FUCK ME» am Bühnenrand und lässt fünf nackte Männer für sich tanzen. In Kontrast zu den unverwüstlichen Muskelprotzen erzählt Otero schonungslos von den Spuren, die das Leben in ihrem Körper hinterlassen hat. (esc, HP Zürcher Theater Spektakel)
Zum Schluss bleibt die bittere Erkenntnis, dass sich die Wünsche und Sehnsüchte, als Tänzerin auf Tour und zu Festivals zu gehen und dabei die Kollegen, die Techniker, das Publikum, ja alle zu ficken, für Marina Otero mit einem geschundenen Körper nicht mehr umsetzen lassen – „Wer fickt schon einen kaputten Körper?“. Nur mit einem schwarzen Strumpf über den Köpfen und dadurch auch miteinander verbunden, jedoch ihrer Persönlichkeit beraubt, verlassen die Männer, die eine Stunde lang den Exzess Marina Oteros umsetzen mussten, auf Knien, schwitzend, erschöpft und laut schnaufend die Bühne. Der krasse Gegensatz dazu: Eine kraftvoll wirkende, strahlende und wie neu erblühte Marina Otero bleibt in rotes Licht getaucht zurück, ein starkes Bild, nach einem starken Abend. Der grosse Applaus des begeisterten Publikums fühlt sich allerdings ein wenig auch nach Erleichterung an, dass diese Energie, diese Gewalt, dieser einstündige Exzess vorüber ist.
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
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Impulse – Juniorballett Zürich Premiere (livestream) 27.02.2021 (Davidson/Arias/Nunes)
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Sadler’s Wells Global Gala – (Stream) 05.12.2020
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„Kreationen“ – Juniorballett Zürich 21.05.2019 (Portugal/Stiens/Montero)
„b.39“ – Ballett am Rhein Düsseldorf 02.05.2019 (H. van Manen/M. Chaix/M. Schläpfer)
„Don Quixote“ – The Royal Ballet London 30.03.2019 (Carlos Acosta nach Petipa)
Ein ähnlicher Spruch hat auch Fußballtrainer Jogi Löw gesagt…immer schneller immer höher. Ich denke egal auf welcher Bühne. Der Zuschauer möchte nur Perfektes. Leider!
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