Henrik Ibsens dramatisches Gedicht „Peer Gynt“ von 1867 ist – nach wie vor – ein interessanter Stoff, kein Wunder diente es schon häufig als Vorlage für Handlungsballette choreografiert von Neumeier bis Spoerli. In Zürich ist nun die charmante „Fantasy“- Version von EDWARD CLUG zu sehen…
Clug hat den Stoff auf 2 Stunden inkl. Pause zusammengekürzt und das tut dem Ganzen gut (im Gegensatz zur beispielsweise eher langatmigen Neumeier-Version, die zwar unter anderem die interessante Schnittke-Auftragsmusik verwendet, aber mit dem ganzen Esoterik-Kram für meinen Geschmack sehr tröge ist). Clugs Peer Gynt erinnert sofort an Parsifal, den reinen Toren, nur eben nicht auf der Suche nach dem heiligen Gral, sondern auf der Suche nach einem abenteuerlichen Leben. Und doch hat diese Interpretation auch etwas urchristliches, etwa, wenn Solveig am Schluss wie zur Erlösung die Tür für das Heim auf dem Rücken trägt, dann sieht das schon sehr nach Kreuzweg aus. Peer Gynt ist gar nicht mal so unsympathisch, er will ausbrechen aus der Enge seiner Herkunft, er will etwas erleben und die Welt sehen. Er will mehr, als nur am dörflichen Leben teilnehmen und biedere Familienidylle mit einer einzigen Frau und so zieht er los, nicht ohne nochmals auf dem Totenbett von seiner Mutter den Hintern versohlt zu bekommen. Er nimmt das Leben wie es kommt, der Tod (MATTHEW KNIGHT grossartig mit hektischen Tippelschritten unterwegs) ist immer dabei und wartet auf seine Gelegenheit und dennoch schlägt Peer ihm zum Schluss ein Schnippchen und findet in berückend schönen finalen Bildern gemeinsam mit der treuen Solveig (FRANCESCA DELL‘ARIA) sein Zuhause, seine Ruhe, seinen Frieden. Als Zuschauer seufzt man und verdrückt ein Tränchen am Ende – so schön ist das! Aber auch für die Reise und Peers Abenteuer in der Wüste oder im Irrenhaus findet Clug wunderschöne Bilder, die grosse Szene bei den Bergtrollen mit den phantasievollen Kostümen von LEO KULAS ist wundervoll. Das liegt natürlich auch an der verwendeten Schauspielmusik von Edvard Grieg, von der man die meisten Nummern kennt, wie die grosse Troll-Szene oder der Grieg-Gassenhauer schlechthin: die „Morgenstimmung“. Nebst all dem Pathos findet Clug aber auch Momente voller feinsinnigem Humor wie etwa zu eben jener „Morgenstimmung“, wenn Peer Münzen in einen Automaten für Kinder wirft, um mit diesem Flugzeug in die Wüste aufzubrechen, wo ihn – ebenfalls wundervoll – eine Teppich-Choreografie erwartet. Nebst all diesen charmanten Ideen ist es einmal mehr das hervorragende Ballett Zürich, das gemeinsam mit dem Junior Ballett seine stilistische Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Allen voran ESTEBAN BERLANGA in der Titelrolle oder auch JESSE FRASER als Hirsch. Ein starkes Bild gleich zu Beginn ist der Kampf der beiden im klugen Setting von MARKO JAPELJ, der „Circle of Life“, der sich zuletzt wieder schliesst. Mit vielen fliessenden Bewegungen hat Clug eine ganz eigene Tanzsprache mit starkem Wiedererkennungseffekt und obwohl die Produktion mehrere Besetzungen hat und das Ballett ebenfalls an anderen grossen Häusern im Repertoire zu sehen ist, hat man das Gefühl, dass es auf die jeweilige Besetzung zugeschnitten wurde. Die verwendeten Teile von Griegs Schauspielmusik klingen hervorragend aus dem Graben von der PHILHARMONIE ZÜRICH und zeigen die ganze Bandbreite von zärtlich-mitfühlend (wie etwa beim Tod der Mutter) bis hin zu den eher volkstümlich-bäuerlichen Momenten im Dorf. VICTORIEN VANOOSTEN am Pult schafft es, dass die Musik eben nicht nur Untermalung, sondern eigenständiges Stilmittel ist. Die ergänzenden Musiken von Grieg machen Sinn und tragen zur Einheit bei – wunderbar die Lyrischen Stücke und Teile des Klavierkonzerts mit ADRIAN OETIKER als Solist. Clugs „Peer Gynt“ hatte bereits 2015 in Maribor seine Uraufführung, ist offensichtlich hervorragend gealtert, quasi zeitlos und hat das Zeug dazu, sich im gängigen Ballett-Repertoire zu behaupten. Ein absolutes Muss für Ballett-Fans.
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
Ruß – eine Geschichte von Aschenputtel – Badisches Staatstheater Karlsruhe 30.04.2022
Angels‘ Atlas – Ballett Zürich 08.04.2022
Hofesh Shechter: Uprising/In your Rooms – Ballet de l’opéra national de Paris 27.03.2022
Monteverdi – Ballett Zürich 04.02.2022
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