Bei seinem letzten abendfüllenden Ballettabend – bevor er als Intendant 2023/2024 ans Staatsballett Berlin wechselt – begibt sich CHRISTIAN SPUCK auf die Spuren von Claudio Monteverdi, dem grossen Komponisten und Wegbereiter der frühen Oper. Seine Musik markiert die Wende von der Renaissance zum Barock, seine Opern sind mittlerweile fester Bestandteil des Repertoires, dies ist wohl auch dem Monteverdi-Zyklus der Zürcher Oper Ende der 70er Jahre zu verdanken (Nikolaus Harnoncourt/Jean-Pierre Ponnelle)…
Mit den genialen Abenden mit Verdis „Requiem“ und der „Winterreise“ von Schubert/Zender oder der choreografischen Umsetzung von Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ hat Spuck bereits neue Wege bestritten und eine Mischung aus Musiktheater und Tanz kreiert, bei der bis anhin das Ballettensemble und der Tanz im Vordergrund stand. Dies ist nun nicht mehr so. Bei „Monteverdi“ ist die Musik und das gesungene Wort dem Tanz ebenbürtig, stellenweise rückt sie sogar in den Mittelpunkt. Monteverdis Musik hat eine immens berührende Emotionalität und so schwebt ein permanenter Hauch an Melancholie und Traurigkeit über den gut zwei Stunden dieser Produktion, die überwiegend aus Stücken des Achten Madrigalbuchs Monteverdis stammen. Spuck erschafft dazu gemeinsam mit seinem famosen Ausstattungsteam (Kostüme: EMMA RYOTT/Bühne: RUFUS DIDWISZUS) einmal mehr eine starke Bildwelt mit grosser Ausdruckskraft, zärtlichem Feingefühl, verzichtet aber auf Pathos in jeglicher Form. Das ist wohltuend und so entsteht ein leiser, ruhiger, stellenweise fast schon gedämpfter Abend, auf den man sich einlassen muss und der stellenweise auch fordert. Es ist kein Abend grosser Ensembles, es sind die vielen kleinen Dinge und Begegnungen, die an diesem Abend gar seltsam berühren. Da ist etwa der allgegenwärtige einsame Ritter oder das traumverlorene Pax de Deux von KATJA WÜNSCHE und WILLIAM MOORE zum feinfühlig und sehr berührend gesungenen „Lamento d’Arianna“ von SIENA LICHT MILLER. Einzig bei der ersten grossen Szenerie nach der Pause mit dem dramatischen Madrigal „Il combattimento die Tancredo e Clorinda“ (by the way – meine erste Begegnung mit der Musik Monteverdis 1996 am Augsburger Theater) nimmt das opernhafte etwas überhand, haften bleibt jedoch das berührende Bild der von ihrem Geliebten Tancredi (ESTEBAN BERLANGA/ANTHONY GREGORY) aufgespießten Clorinda (MICHELLE WILLEMS/LAUREN FAGAN) im goldenen Kettenhemd. Interessant die Kombination der Madrigale mit italienische Schlagern verschiedener Epochen, so hört man unter anderem Rudi Schurike mit den „Caprifischern“ oder Adriano Celentano mit dem Ohrwurm „Azzurro“ – dazu dann auch wohl eines der schönsten Bilder dieser Produktion: zu den leisen Klängen des Schlagers das sanfte Rauschen der senffarbenen Roben vor den grauen Wänden, die statische Ruhe der Tänzer:innen auf ihren Stühlen – das brennt sich ein, das bleibt haften! Das ist berückend schön! Der Abend beginnt und endet mit anmutigen, sehnsuchtsvollen Begegnungen von LUCA AFFLITTO und ACHILLE DE GROEVE, die Klammer der über allem liegenden Melancholie schliesst sich. Das ORCHESTRA LA SCINTILLA (in sehr kleiner Besetzung) musiziert unter der Leitung von CHRISTOPH KONCZ die Musik von Monteverdi eher zurückhaltend, das hervorragende Sängerensemble erscheint dadurch umso wuchtiger (LAUREN FAGAN, LOUISE KEMÉNY, SIENA LICHT MILLER, ARYEH NUSSBAUM COHEN, EDGARAS MONTVIDAS, ANTHONY GREGORY, BRENT MICHAEL SMITH), erblüht in herrlichen Klangfarben und ergibt sich in wunderbaren Nuancen. Vom Countertenor ARYEH NUSSBAUM COHEN hätte man sich noch mehr Soli an diesem Abend gewünscht, seine Stimme ist berührend und verzaubert, von ihm wird man in Zukunft sicherlich noch hören. „Monteverdi“ ist ein ruhiger, zurückhaltender Abend, jedoch mit einer Intensität, die eine grosse Bandbreite an Emotionen – Liebe, Tod, Einsamkeit, Trauer, Verlorenheit… – abdeckt und einmal mehr die schöpferische Vielseitigkeit von Christian Spuck zeigt.
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
COW/Alexander Ekman – Theater Basel 21.11.2021
Double Murder/Hofesh Shechter Company – Théâtre du Châtelet Paris 13.10.2021
PLAY/Alexander Ekman/Ballet d’opéra de Paris – Palais Garnier 10.10.2021
Marina Otero: FUCK ME – Zürcher Theater Spektakel 28.08.2021
Walking Mad – Ballett Zürich 22.05.2021 (Clug/Inger)
Impulse – Juniorballett Zürich Premiere (livestream) 27.02.2021 (Davidson/Arias/Nunes)
Gala d’ouverture/Ballet – Opéra national de paris (livestream) 30.01.2021
Sadler’s Wells Global Gala – (Stream) 05.12.2020
Basso Continuum/7 Danses Greques – Béjart-Ballett – Opéra de Lausanne 11.10.2020
Forsythe – Ballett Zürich 07.02.2020
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