Erneut hat CHRISTIAN SPUCK genreübergreifend eine spannende Produktion des Ballett Zürich realisiert: HELMUT LACHENMANNs Bühnenwerk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, eine äusserst interessante Verschmelzung von Oper/Musiktheater und Tanz – und eine sehr sinnliche Erfahrung…
Aber auch der Begriff Oper ist für dieses Stück nicht der richtige, vielmehr auf den Punkt bringt es die Umschreibung „Raumklangtheater“, denn die Musiker und Vokalisten sind nicht nur im Graben, sondern auf der Bühne, in den Proszeniumslogen und im 2. Rang verteilt und schaffen somit polyphones Hörerlebnis. Das ist nur eine der Besonderheiten dieses Stückes, denn neben den Tänzern sind auch die BASLER MADRIGALISTEN mit der Produktion unterschiedlichster Töne, Geräusche und Laute beschäftigt – spannend anzusehen, wie diese singen, sprechen, atmen oder mit Klangschalen und Styroporblöcken agieren. Denn das todtraurige Märchen von Hans Christian Andersen wird nicht erzählt, vielmehr ist es eine Collage an Stimmungen, die – umgesetzt durch die Tänzer*innen – erlebbar und visualisiert wird. Im Grunde ist es eine Bildfolge an sichtbaren Gefühlen, Emotionen, Stimmungen, überdeutlich die Ausgrenzung aus der Gesellschaft und die Einsamkeit des Mädchens, immer mehrfach tänzerisch zu sehen von MICHELLE WILLEMS und EMMA ANTROBUS – sehr berührend und zerbrechlich im dünnen weissen Hemdchen. Dazu Kälte und Schnee, Videoeinspielungen und eisgraues Licht. Erneut eine grossartige Ausstattung von EMMA RYOTT (Kostüme) und RUFUS DIDWISZUS (Bühnenbild). Eines der Highlights natürlich, wenn der fast 84jährige Komponist Helmut Lachenmann selbst die Bühne betritt, um einen Text Leonardo da Vincis in ungewohnter Rhythmik zu rezitieren, hier herrscht im Saal volle Konzentration und Stille. Eine beeindruckende Sequenz. Während der letzten 30 Minuten kehrt Friede und Ruhe ein, das Mädchen ist tot, erfroren, und mit der „Himmelfahrt“ und dem Epilog schleicht sich ganz langsam die Aktion und die Musik aus dem Saal und von der Bühne, der verlöschende Atem, das verlöschende Leben ist förmlich zu spüren – bewegend ist das. Hier merkt man, dass die Musik Lachenmanns genau nach dieser tänzerischen Umsetzung verlangt, denn das ganze Stück hindurch pfeifft der Wind und bläst der Schneesturm in den Tönen. Die Musik wird spür- und erlebbar und mit der zusätzlich Dimension des Tanzes zu einem Gesamtkunstwerk. Bravo! Hervorragend die beiden Sopranistinnen ALINA ADAMSKI und YUKO KAKUTA und die sehr berührenden Sequenzen der Shō-Spielerin MAYUMI MIYATA. Am Pult der Philharmonia Zürich stand MATTHIAS HERMANN und formte die Vielzahl der musikalischen Einheiten zu einem wohlklingenden Gesamtgebilde. Als Zuschauer wird man zwei volle Stunden (ohne Pause) gefordert, aber auch grosszügig belohnt. 1997 habe ich in Hamburg die Uraufführung dieses Werkes erleben dürfen (Achim Freyer/Lothar Zagrosek) – was für eine interessante Erfahrung, „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nun nochmals komplett neu und auf diese Weise zu entdecken… – Christian Spuck hat erneut überrascht, mit einer Produktion, die noch lange nachhallt und im Gedächtnis haften bleiben wird.
Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:
„Romeo und Julia“ – Ballett Zürich 22.06.2019 (Christian Spuck)
„Kreationen“ – Juniorballett Zürich 21.05.2019 (Portugal/Stiens/Montero)
„b.39“ – Ballett am Rhein Düsseldorf 02.05.2019 (H. van Manen/M. Chaix/M. Schläpfer)
„Don Quixote“ – The Royal Ballet London 30.03.2019 (Carlos Acosta nach Petipa)
„Nijinski“ – Ballett Zürich 17.03.2019 (Marco Goecke)
„Bella Figura“ – Ballett Zürich 25.01.2019 (J. Kylián)
Danke für’s Mitnehmen. Wäre gerne richtig dabeigewesen.
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„Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ haben wir auch hier in Frankfurt am Main erlebt, und zwar 2015 in einer Inszenierung von Benedikt von Peter, dirigiert von Erik Nielsen.
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Ich finde das ein wirklich spannendes Werk, für mich war es wirklich toll, so viele Jahre nach der UA in Hamburg das ganze nochmals zu hören bzw. in dieser Umsetzung zu sehen. Toll! Noch dazu mit Helmut Lachenmann selbst auf der Bühne.
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Ja, Herr Lachenmann war auch in Frankfurt dabei.
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