Filipenkos Romandebüt, bereits 2014 erschienen, ist eine Mischung aus dokumentierter Zeitgeschichte, Satire und Unterhaltungsroman…
Der ins Minsk geborene Sasha Filipenko (Jahrgang 1984) hat Literatur studiert und lebt in St. Petersburg, er arbeitete als Gag-Schreiber einer Satire-Show und als Moderator, das kommt dem Roman zugute, in dem er fast schon prophetisch eine Zeit in Weissrussland beschreibt, die sehr stark von der Diktatur Lukaschenkos und ihrer Repressalien geprägt ist.
Was wäre, wenn ein junger Mann in Belarus nach zehn Jahren im Koma wieder aufwacht? In der Familie und im privaten Umfeld des jungen Franzisk in Minsk hat sich alles verändert: Seine Freundin hat sich längst woanders umgeschaut, seine Mutter hat eine neue Familie, seine geliebte Großmutter, die sich als Einzige um ihn gekümmert hat, ist nicht mehr. Aber in seinem Land ist alles noch genau wie vorher: Ein autoritärer Präsident ist an der Macht, die jungen Leute verlassen in Scharen das Land, und jeder Protest wird sogleich erstickt. Wird Zisk in diesem erstarrten Land seinen Platz finden? (Diogenes Verlag)
Viele Episoden sind amüsant und witzig und haben eine wunderbare Leichtigkeit in dieser sonst stellenweise erschütternden Beschreibung des Lebens in Weissrussland. Die Personen bleiben grossenteils schemenhaft, gezeichnet, selbst den Protagonisten lernt man nur oberflächlich kennen, das irritiert etwas, schmälert das Lesevergnügen jedoch keineswegs. Interessanterweise gibt es auch keinen einzigen Sympathieträger unter den Figuren dieses Romans. Eines wird jedoch klar, den Verstrickungen in diesem System kann sich niemand entziehen. Gemäss Filipenko ist das Koma von Franzisk eine Metapher für alles, was in den letzten 10 Jahren in Weissrussland passiert ist, nun ist das Volk – nach den Wahlen 2020 – wieder erwacht und dominiert die Medien. Man wird sehen, was daraus wird. Die Handlung orientiert sich an vielen wahren Ereignissen und Begebenheiten die vor etwas 10 Jahren passierten. Als Leser erhält man einige wenige, kleine Einblicke in den belarussischen Alltag, das ist interessant, spannend und lesenswert. Sasha Filipenko ist für mich eine Entdeckung!
„Der ehemalige Sohn“ von Sasha Filipenko, 2021, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07156-6 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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