Fernanda Melchor – Paradais.

Der neue Roman der mexikanischen Autorin Fernanda Melchor ist nun auf deutsch erschienen und abermals kann man die atemlose Schreibe dieser grossartigen jungen Autorin nicht weglegen, man ist sofort gepackt, fasziniert und kann sich der Sogwirkung auch diesmal nicht entziehen – grossartig!…

Wie bereits bei ihrem grossen Erfolg „Saison der Wirbelstürme“ von 2017 wühlt die Sprache und emotionale Wucht des neues Romans von der ersten bis zur letzten Seite auf, man spürt das Unheil nahen und kann sich dem nicht mehr entziehen, man ist fasziniert von der Rohheit dieses Lebens, von den drastischen Schilderungen der Kämpfe mexikanischer Drogenkartelle und der Aussichts- und Perspektivlosigkeit vieler, vor allem junger, Mexikaner:innen. Die Gewalt bedroht alles und jegliches Leben.

Der Dicke war an allem schuld, das würde er ihnen sagen. Aber wer ist hier schon ohne Schuld? Der Roman der preisgekrönten mexikanischen Autorin Fernanda Melchor erzählt die Geschichte eines Verbrechens: roh, ohne tropische Restmagie, ein schneller, heftiger Schlag. Am Rand des Paradieses ist das Wasser schlammgrün. Jede Nacht sitzen sie unten am Fluss und trinken bis zur Besinnungslosigkeit: der übergewichtige blonde Franco, der in der Luxus-Anlage Paradise wohnt, und der sechzehnjährige Polo, der dort als Gärtner arbeitet. Doch Franco ist kein Freund, er braucht Polo nur, um seine grotesken sexuellen Phantasien auszubreiten. Die drehen sich obsessiv um eine einzige Frau: die unerreichbare Nachbarin Señora Marián. Polo bleibt trotzdem sitzen und säuft: um die Plackerei, die Herabwürdigungen zu ertragen, um nicht zurück ins Dorf zu müssen, wo alle für die Drogenmafia arbeiten – und ihn seine schwangere Cousine und die Vorwürfe seiner Mutter erwarten. Die Nachbarin wolle ihn verführen, sagt der Dicke, er müsse mit ihr schlafen, notfalls mit Gewalt. Polo hält das für lächerliche Hirngespinste, aber allmählich wird er vom stummen Saufkumpan zum Komplizen. Und wittert seine Chance auf den großen Ausbruch … (Wagenbach Verlag)

Die Autorin erzählt aus der Perspektive des sechzehnjährigen Polo und nimmt uns mit auf eine Reise in die Welt seiner Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte, gleichzeitig erlebt man die Frustration seines Lebens und die fortwährende Einsicht, dass ein Überleben und Vorankommen wohl nur mit roher Gewalt und einer Bandenmitgliedschaft möglich ist. Das wühlt auf und ist erschütternd. Und obwohl ihr Schreibstil konsequent roh und unverblümt ist, hat dieser stetige atemlose Fluss auch eine gewisse Poesie inne. Eine grossartige Leistung wohl auch der Übersetzerin Angelica Ammar. Wohlverdient erhielt Fernanda Melchor 2019 den Anna-Seghers-Preis, den Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt und stand auf der Shortlist des International Man Booker Prize. Und auch von „Paradais“ ist man als Leser sofort fasziniert, gefesselt und kann sich dieser atemlosen Schreibe nicht entziehen. Fernanda Melchor ist für mich eine der spannendsten Entdeckungen der letzten Jahre, in Lateinamerika ist sie bereits jetzt eine der wichtigsten Autorinnen. Ich kann den neuen Roman sehr empfehlen, gerade wegen seiner drastischen Schilderungen, wegen seiner Eindringlichkeit, wegen seiner Wucht.

„Paradais“ von Fernanda Melchor, 2021, Wagenbach Verlag, ISBN: 978-3-8031-3338-0 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Wagenbach Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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