Im Verlag Klaus Wagenbach gibt es immer wieder spannende Autor:innen zu entdecken, der neue Roman „Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flašar ist jedenfalls eine interessante Neuerscheinung…
„Oben Erde, unten Himmel“ ist ein sehr gelungener Roman über die heutige Gesellschaft in einer japanischen Metropole, in der fast niemand mehr auf seine Mitmenschen achtet, jeder mit sich selbst beschäftigt ist, Zwischenmenschliches verloren geht. Es ist aber auch in frischer und unverbrauchter Sprache ein liebenswertes Plädoyer dafür, offen zu sein für Neues, vorurteilsfrei auf Menschen zuzugehen, sein eigenes Leben immer wieder zu hinterfragen, Veränderungen zuzulassen. Man erfährt viel über Japan und seine Gesellschaft, die auf uns und unser westlich geprägtes Leben, trotz Globalisierung, immer noch und in vielerlei Hinsicht exotisch wirkt.
Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. »Fräulein Suzu«, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion. (Verlag Klaus Wagenbach)
Es ist wunderbar, wie spielerisch und leicht die Autorin mit dem Thema der „einsamen Tode“ (Kodokushi = einsamer Tod/Kodokusha = einsam Verstorbener, so werden Menschen bezeichnet, die alleine in ihrer Wohnung versterben und deren Leichen lange Zeit unentdeckt bleiben) in unserer Gesellschaft umgeht. Eine Thema, was wohl die meisten Gesellschaften verdrängen und in „Randzonen“ des Alltags verbannen. Gleichzeitig ist es eine Analyse der Protagonistin Suzu, die zunächst einsam oder wie sie sich selbst bezeichnet „alleinstehend mit Hamster“ ihren Alltag hinter sich bringt, ohne das Leben zu geniessen, es dann aber doch auch in einer überwiegend kalten und isolierten Welt schafft, sich zu sozialisieren, Freundschaften zu schliessen. Die Figuren sind interessant und plastisch, liebenswert, lebensecht, wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen mit einem grossen autobiographischen Anteil und trotz des Themas hat dieser Roman eine fast schon heitere Leichtigkeit. Sehr schöne Lektüre!
„Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flašar, 2023, Verlag Klaus Wagenbach, ISBN 978-3-8031-3353-3 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Verlag Klaus Wagenbach sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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