Benjamin von Stuckrad-Barre – Noch wach?

Mit grosser Spannung erwartet, vor kurzem erschienen und heiss diskutiert: Benjamin von Stuckrad-Barres neuer Roman „Noch wach? Seit dem Erscheinen seines ersten Romans „Soloalbum“ 1998 ist Stuckrad-Barre – nach wie vor – ein interessanter Autor, ein Chronist unserer Zeit…

Vor vielen Jahren als DER „Popliterat“ gefeiert, beinhaltet sein schriftstellerisches Werk mittlerweile einiges an Material zu den unterschiedlichsten Themen und bildet immer wieder die deutsche Gesellschaft ab. Wer seine Schreibe kennt und mag, der wird sich über „Noch wach?“freuen, ob das nun ein „Schlüsselroman“ zu den Vorgängen im Axel Springer-Verlag ist oder nicht, kann jeder für sich selbst entscheiden und ist – mir persönlich – auch absolut egal. Selbstverständlich ist es offensichtlich, um welche Vorkommnisse und realen Personen in existierenden Unternehmen es geht. Und natürlich ist – wie soll es auch anders sein – die immer noch anhaltende Berichterstattung ein gefundenes Fressen und grossartiger Stoff für das Marketing des Verlags und die Presse. Aber es ist eben auch eine gute Story. Und neben den Vorkommnissen in Berlin gibt es auch noch diesen zweiten Schauplatz Los Angeles und es gibt Rose McGowan am Hotelpool und die Causa Weinstein in Hollywood.

Berlin: Eine junge Frau erzählt von ihrem neuen Job bei einem großen Fernsehsender, von ihrem neuen Chef, ihrem neuen Leben. Sie wirkt glücklich, beseelt, hoffnungsfroh, es klingt gut. Zu gut? In Los Angeles geht derweil eine Welt unter. Ein Mann, der damit prahlt, als Berühmtheit könne man sich gegenüber Frauen alles herausnehmen, wird Präsident der Vereinigten Staaten. Im Garten des legendären „Chateau Marmont“, diesem Nachtspielplatz verwöhnter Hollywood Kids jeden Alters, vertreibt sich eine illustre Bande auf der Flucht vor der Realität die Zeit. Auch der Erzähler ist hier – und Rose McGowan, die Schauspielerin, der man nachsagt, neuerdings irgendwie anstrengend geworden zu sein.  Kurz darauf erschüttert der Weinstein-Skandal Hollywood, und Rose McGowan ist eine der ersten Frauen, die sexuelle Belästigung durch den bis dahin von ganz Hollywood hofierten Filmproduzenten öffentlich gemacht hat. Rose verschwindet, aber sie hinterlässt dem Erzähler eine kryptische Nachricht – oder ist es vielmehr ein Auftrag? Wieso wendet sie sich ausgerechnet an ihn? Von Hollywood aus verbreitet sich die #MeToo-Bewegung um die ganze Welt. Doch die alten Machtstrukturen sind widerständiger, als man in der ersten Euphorie vielleicht denken mochte. Zurück in Berlin findet sich der Erzähler nicht mehr nur als Liegestuhlbeobachter, sondern nun als Akteur mitten in einem unübersichtlichen Geschehen wieder, das ihn in einen tiefen persönlichen Konflikt stürzt. (Verlag Kiepenheuer & Witsch)

In der ihm eigenen Art erzählt Stuckrad-Barre die Geschichte, wie immer liest sich das flott und hat den Anschein, „frei von der Leber weg“ geschrieben worden zu sein. Wunderbare Komik gibt es ebenso, etwa im ausführlich erzählten Kapitel „Jetzt wird’s schmutzig“, wenn bis ins kleinste Detail eine Begehung des Neubaus beschrieben wird. Natürlich hat man nach der Lektüre dieses neuen Romans einmal mehr das Gefühl, das Stuckrad-Barre kein sympathischer Mensch ist und man ihn nicht näher kennenlernen möchte (auch wenn er sich hier ein wenig als Frauenversteher und Retter in der Not positioniert). Denn auch aus seiner Erzählperspektive hat er diese gewisse Arroganz und Überheblichkeit, die er seinem „Freund“ im Roman permanent attestiert, das macht diese „Bromance“ nur noch glaubwürdiger. „Noch wach?“ ist unterhaltsam, amüsant, witzig, trotz der Themen #metoo, Weinstein und Konsorten. Es ist ein Pageturner, man hat ihn schnell gelesen, gegen Ende dann wird es ein wenig repetitiv und man hat dann auch irgendwann genug davon, von dieser nicht gerade leisen Literatur, die fast ein wenig an die reisserische Sprache der „BILD“ erinnert (vor allem ist man irgendwann der unzähligen versal gedruckten Wörter als Stilmittel überdrüssig…). Das Ende ist absehbar und für (fast) alle Beteiligten tragisch, aber so ist die (oftmals bittere) Realität, so ist das Leben. Die Rezensionen zu „Noch wach?“ gehen weit auseinander, viele kritisieren, dass es um Frauenrechte etc. geht, dann aber über eine Männerfreundschaft geschrieben wird und wenig Tiefe hat, ich kann diese Argumente verstehen, aber letztendlich wenn man Stuckrad-Barre kauft, dann gibt es eben auch Stuckrad-Barre zu lesen. Mir persönlich hat „Noch wach?“ sehr gut gefallen, es ist ein Abbild unserer Gesellschaft, eine exzellente Chronik unserer Zeit mit viel Bling-Bling und doch auch Schärfe.

„Noch wach? von Benjamin von Stuckrad-Barre, 2023, Verlag Kiepenheuer & Witsch, ISBN: 978-3-462-00467-0 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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