Es sind die letzten beiden grossen Romane des kurz vor der Veröffentlichung von „Tomás Levinson“ leider viel zu früh verstorbenen grossartigen spanischen Autors Javier Marías. Auf den Punkt gebracht: Ganz grosses Lesevergnügen!
Wer Marías kennt, der weiss um seine schöne Sprache, seine intelligenten Plots – dieser Autor ist für mich ein immer wieder überraschender und lesenswerter Romancier. Fast möchte man sagen der alten Schule, aber das stimmt so nicht, denn gleichzeitig sind seine Bücher so modern, so zeitgemäss, so vielschichtig. Das klingt pathetisch, aber manche Sätze und Beschreibungen kann man sich tatsächlich genussvoll auf der Zunge zergehen lassen. Sowohl „Berta Isla“, als auch „Tomás Nevinson“ haben eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann, trotz epischer Breite sind beide Werke kurzweilig, spannend und bieten viele interessante Einblicke ins Zeitgeschehen Spaniens, Englands, der Welt und eine Unmenge an literarischen Zitaten. Marías Werke sind intelligent, leidenschaftlich und sprachlich unglaublich vielschichtig, diesen Eindruck hatte schon ich bei meiner ersten Begegnung mit seinem Werk vor vielen Jahren mit seinem internationalen Bestseller „Mein Herz so weiss“ (1996). In diesen beiden letzten Romanen geht es um die grossen Themen Schuld und Sühne, dies in gewohnt nüchterner Tonlage mit wunderbaren Exkursen und Abschweifungen zu literarischen Themen.
BERTA ISLA – Berta und Tomás kennen sich seit ihrer Jugend in Madrid und haben sich früh für ein gemeinsames Leben entschieden. Doch während seines Studiums in Oxford begeht Tomás einen dummen Fehler, der ihn und Berta in eine verhängnisvolle Lage bringt. Um der Haftstrafe zu entgehen, beginnt er heimlich für den britischen Geheimdienst zu arbeiten.
In Madrid ahnt Berta, dass Tomás ein Doppelleben führt. Und als er während des Falklandkrieges spurlos verschwindet, muss sie sich endgültig fragen, wer ihr Mann war. (Fischer Verlag)
TOMÁS NEVINSON – Eigentlich hat Tomás Nevinson mit dem Geheimdienst abgeschlossen. Doch sein ehemaliger Chef verführt ihn mit einem neuen Auftrag: Nevinson soll in einer spanischen Kleinstadt eine Terroristin, die sich an früheren Anschlägen der ETA und der IRA beteiligt hat, aufspüren und beseitigen. Als er mit einer Frau, die als Zielperson in Frage kommt, eine Beziehung eingeht, gerät er in Gewissenskonflikte. (Fischer Verlag)
Beide Romane sind grossartige Literatur, unbedingt lesenswert, weil eben beide Bände so viel mehr sind als „nur“ ein Agenten-Thriller. Marías plastische Figuren, seine wundervoll zu lesenden Ausführungen und Abschweifungen zu allen möglichen Themenkomplexen machen die Lektüre zum Genuss. Man kann fast sagen, es ist eine ausführliche philosophische Betrachtung des Agentenlebens aus mehreren Perspektiven. Auch wenn jeder Band für sich steht, hat man wohl am meisten davon, wenn man beide Romane liest. Gelungenes, ganz grosses Lesevergnügen!
Javier Marías: „Berta Isla“, Fischer Verlag, 2019, ISBN: 978-3-10-397396-9 & „Tomás Nevinson“, Fischer Verlag, 2022, ISBN: 978-3-10-397132-3 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar von „Tomás Nevinson“ kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Fischer Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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„Mein Herz so weiß“ habe ich vor einigen Jahren gelesen, ohne um den Bestsellerstatus zu wissen und sehr genossen. Bekannte empfanden das Werk auf meine Empfehlung hin als zu handlungsarm. Mich konnte Marías aber aus den Gründen, die du oben nennst, insbesondere der Abschweifungen und philosophischen Betrachtungen, sehr für sich einnehmen. Die beiden Bücher sind als nächste Romane von ihm notiert.
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Als handlungsarm würde ich das jetzt nicht bezeichnen, aber es ist natürlich schon so, dass seine Gedankenwelt einen grossen Raum einnimmt, das muss man natürlich mögen. Bei manchen anderen Autoren langweilt mich das auch, bei Marías nicht. Herzlichst aus Zürich, A.
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Ich habe mich bis jetzt immer etwas gegen Marías gesperrt, ich empfand seine Kolumnen oft als ziemlich elitär und misantropisch. Aber nach diesem Beitrag werde ich sicher zumindest mal Berta Isla auf meine Leseliste setzen. Danke!
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Ich finde Marías einen wirklich tollen Autor, natürlich nichts, was man einfach so wegliest. Ich mag eben seine Ausschweifungen, Ausführungen, Zitate, das hat manchmal natürlich schon etwas elitäres, ich kann gut verstehen, wenn man das nicht mag. Aber für mich macht genau das die Qualität seiner Literatur aus. Und ich finde die beiden Romane sind ein guter Stoff, seine Betrachtungen über das Agentendasein finde ich sehr lesenswert. Wenn Du „Berta Isla“ lesen solltest, bin ich gespannt, wie es Dir gefallen hat. Herzlichst aus Zürich, A.
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