Boris Godunow – Oper Zürich (stream)

In Zeiten von Corona und neuen Kleinformaten auf den Opernbühnen zeigt Zürich zur Saisoneröffnung eine Neuproduktion von „Boris Godunow“ – grosse russische Oper! Doch nach ein paar ersten euphorischen Wochen der neuen Saison ist nun auch in Zürich alles wieder in den Pandemie-Schlaf versunken und man kann Oper nur noch zu Hause im Stream verfolgen….

Nachdem ich den Besuch einer der Vorstellungen schweren Herzens absagen musste, nutze ich also das Streaming-Angebot des Opernhauses Zürich. Bereits während der ersten Takte ist klar, dass dies (erneut) ein unbefriedigendes Erlebnis wird. Diese wunderbare Musik zu Hause am Fernseher oder am Laptop zu verfolgen ist einfach nicht mein Ding. Dennoch halte ich die vier Stunden durch. Und es hat sich (natürlich) gelohnt! Besser als gar nichts! Dabei war ich so gespannt auf diese Neuinszenierung – seit meinem ersten „Boris Godunow“ in München (1995, mit der grossen Astrid Varnay in ihren letzten Vorstellungen (als Amme) – ist das zu fassen!!!?) und der zuletzt besuchten Vorstellung 2008 in Zürich (mit dem wunderbaren Matti Salminen als Boris) eine lange Mussorgsky-Abstinenz! Nun also im Streaming-Angebot der Oper Zürich: Boris Godunow, die Neuinszenierung zur Saisoneröffnung von BARRIE KOSKY. In der monumentalen Ausstattung und starken Bildern von RUFUS DIDWISZUS (Bühne), KLAUS BRUNS (Kostüme) und FRANK EVIN (Lichtdesign) erzählt Kosky die Geschichte dieser zwiespältigen historischen Figur im offensichtlichen Kontext historischer Texte, Das Stück beginnt in einer grossen verstaubten Bibliothek (samt singender Bücher, die ein wenig an die Muppets-Show erinnern) und auch die Protagonisten sitzen häufig an Computern und recherchieren offensichtlich etwas (womöglich, ob Boris tatsächlich Iwans Sohn Dmitri ermorden lies?). Die Pandemie-bedingte Abwesenheit des Chores ist wohltuend, der Klang im Stream von der Probebühne hervorragend, endlich wird man als Zuschauer nicht durch das oft nervige szenische Chorgetümmel abgelenkt, der Fokus liegt auf den Protagonisten: MICHAEL VOLLE zeigt sämtliche Facetten dieser interessanten Rolle – blutrünstig, demütig und dennoch zart fühlend in den intimen Momenten mit seinem Sohn Fjodor (SOLIST DES TÖLZER KNABENCHORES). BRINDLEY SHERRAT als sein Gegenspieler Pimen hingegen, sieht eher nach bebrilltem DDR/Sowjet-Kader aus, bürokratisch, musikalisch stark. Die Frauen (OKSANA VOLKOVA als Marina Mnischek und LINA DAMBRAUSKAITÉ als Xenia) bleiben im Vergleich mit den männlichen Kollegen eher als blasse Gestalten in Erinnerung. Köstlich jedoch KATIA LEDOUX als Wirtin und gleich zu Beginn beeindruckend der Tenor EDGARAS MONTVIDAS als Grigori Otrepjew. Heimlicher Star ist für mich jedoch SPENCER LANG als Gottesnarr, omnipräsent, ausdrucksstark (musikalisch und darstellerisch) und die konzeptionelle Klammer von Koskys Inszenierung. Am Ende gibt es im Grunde nur Verlierer, denn der Abgrund unter der grossen Glocke, die unerbittlich schlägt (das Schicksal?) verschlingt alles und jeden, selbst die Bücher und Dokumente, die der Nachwelt evtl. hätten Aufschluss geben können. Man kann nur hoffen, dass es eine Wiederaufnahme dieser vor starken Bildern nur so strotzenden Produktion in dieser hervorragenden Besetzung geben wird und das Virus dem Besuch einer Live-Vorstellung nicht schon wieder einen Strich durch die Rechnung macht…

Wie bereits nach dem Live-Stream von Abramovics „7 Deaths of Maria Callas“ aus der Bayerischen Staatsoper München, habe ich mir auch nach diesem Boris Godunow geschworen, zukünftig auf gestreamte Oper zu verzichten. Das begeistert mich nicht wirklich. Es fehlt die Energie, die Kraft von live gespielter Musik – wobei diese Energie aktuell in Zürich sowieso nicht zu spüren wäre, da aufgrund des Corona-Schutzkonzeptes Chor und Orchester live von der Probebühne übertragen werden und der Graben leer ist. Dennoch, was ist die Alternative? Ganz auf Oper zu verzichten geht keinesfalls!!! Also wird wohl doch als nächstes die neue Produktion „Die Vögel“ von Braunfels auf meiner Streaming-Agenda stehen (Bayerische Staatsoper/Frank Castorf/Ingo Metzmacher).

Letzte Opernerlebnisse:

„7 Deaths of Maria Callas“ – Bayerische Staatsoper München (livestream) 05.09.2020

„Operettengala Camilla Nylund & Piotr Beczala“ – Oper Zürich 12.07.2020

„Iphigénie en Tauride“ – Oper Zürich 16.02.2020

„Wozzeck“ – Oper Zürich 09.02.2020

„Salome“ – Luzerner Theater 17.01.2020

„Martha oder der Markt zu Richmond“ – Oper Frankfurt 31.12.2019

„Belshazzar“ – Oper Zürich 17.11.2019

„Cosi fan tutte“ – Oper Zürich 8.11.2019

„Die Sache Makropulos“ – Oper Zürich 6.10.2019

„La Traviata“ – Oper Zürich 29.09.2019

11 Kommentare

    1. arcimboldis_world

      Da stimme ich Dir voll und ganz zu. Aber wenn die Abstinenz zu gross wird und der Besuch einer Live-Vorstellung aktuell nun gar nicht mehr möglich ist, was bleibt einem da noch übrig? Es fehlt mir so sehr. Da nimmt man dann auch ein Streaming in Kauf (und ärgert sich jedesmal…..). Kann man nur versuchen, aus dieser aktuell grässlichen Situation das Beste zu machen.

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