Dunkelheit liegt über Tauris, der Fluch der Atriden liegt über allem, nur stellenweise bricht Licht in die Szenerie. Risse öffnen die Dunkelheit, geben kurz etwas Licht, etwas Hoffnung, um kurz darauf alles wieder ins Dunkel zu tauchen – das ist die Welt der Iphigenie auf Tauris, das ist das Setting der sehr ästhetischen und tiefsinnigen Inszenierung von Glucks zweiter Iphigenien-Oper „Iphigénie en Tauride“ am Züricher Opernhaus durch ANDREAS HOMOKI…
Bereits zu Beginn ist Iphigénie eine unter vielen Trauernden, sie hebt sich nicht ab in der grossen Masse schwarzgewandeter trauerverschleierter Frauen und genau dahin kehrt sie auch zurück am Ende des Abends. Für sie gibt es kein Glück, keine Erlösung. Der Fluch ist jedoch getilgt, der Kreislauf des Mordens und der Rache durchbrochen. Im Bühnenhintergrund schreiten ihr Bruder Orest und sein Geliebter Pylades als glückliches Paar ins Licht, die zarte Beziehung der beiden Freunde, die ihr Leben gegenseitig opfern würden ist glaubhaft, äusserst sensibel (mit sanftem Bühnenkuss) und feinfühlig inszeniert. Die Aufhebung des Fluches mit dem Gang ins Licht macht Sinn und schliesst absolut konsequent diesen ästhetisch strengen Abend ab. Analog den antiken Dramen begleitet der Chor (Einstudierung JANKO KASTELIC) die Handlung, kommentiert und unterstreicht das Geschehen, zu Beginn musikalisch noch etwas unsauber (vor allem der erste Einsatz der Männer), danach gewinnt er aber an Kraft und Ausdruck. Homoki bewegt diese Massen geschickt, ist dies inszenatorisch häufig eine heikle (und oftmals peinliche) Sache. Ausstatter MICHAEL LEVINE und Lichtdesigner FRANCK EVIN haben hierfür einen tollen schwarzen perspektivischen Tunnel geschaffen, der viel Spielmöglichkeiten bietet und durch eine grellweiss leuchtende Neonumrandung am Portal begrenzt wird. Die Begegnungen der einzelnen Protagonisten verlaufen trotz vieler Menschen häufig intim und wirken zeitweise sogar wie in einem Kammerspiel. Das ist sehr intensiv und stringent. Gerade deswegen auch die richtige Entscheidung, auf eine Pause zu verzichten und die ca. 100 Minuten dauernde Aufführung aktlos durchzuspielen. Die Vorgeschichte und das Familientrauma wird immer wieder aufgegriffen und durch pantomimisch agierende Protagonisten dezent erzählt, wunderbar und schlüssig, wenn am Ende die Auflösung durch Diana (stimmgewaltig JUSTYNA BLUJ) als „Deus ex machina“ in Form der Mutter Klytämnestra erfolgt – Erlösung durch Vergebung. Wurden Premiere und die ersten Vorstellungen von Kassen- und Publikumsmagnetin Cecilia Bartoli absolviert und hochgelobt, so steht die nachfolgende Iphigénie-Besetzung BIRGITTE CHRISTENSEN (mit wunderschönem ausdrucksstarken Sopran) der Bartoli in nichts nach. Ist die Bartoli (egal in welcher Rolle….) häufig am Rande zur Hysterie, überzeugt Christensen durch Ruhe und Kraft. Die Männer sind ebenfalls hervorragend mit STÉPHANE DEGOUT (Orest), FRÉDÉRIC ANTOUN (Pylades) und seinem farbenprächtig-strahlendem Tenor sowie JEAN-FRANÇOIS LAPOINTE (Thoas) besetzt. GIANLUCA CAPUANO am Pult schafft es, dass dieser Gluck-Abend nicht – wie häufig – etwas seicht dahin plätschert, vielmehr erzeugt er ebenso scharfe Konturen aus dem Graben, wie sie sich als Lichtblitze im tiefschwarzem Setting abzeichnen. Nicht nur szenisch auf der Bühne, auch musikalisch ein spannender Abend mit viel Dramatik und doch an den richtigen Stellen der nötige Pathos mit viel Melancholie und Todessehnsucht. Bravi!
Zuletzt besuchte Vorstellungen:
„Wozzeck“ – Oper Zürich 09.02.2020
„Salome“ – Luzerner Theater 17.01.2020
„Martha oder der Markt zu Richmond“ – Oper Frankfurt 31.12.2019
„Belshazzar“ – Oper Zürich 17.11.2019
„Cosi fan tutte“ – Oper Zürich 8.11.2019
„Die Sache Makropulos“ – Oper Zürich 6.10.2019
„La Traviata“ – Oper Zürich 29.09.2019
„Nabucco“ – Oper Zürich 24.09.2019
„Al gran sole carico d’amore“ – Theater Basel 22.09.2019
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