Ein Werk, dass ich schon immer sehen wollte: John Adams Oper „Nixon in China“ von 1987 in der er sich satirisch mit modernen Helden-Mythen auseinander setzt: Richard Nixon und Mao Zedong. Ich kann mich noch sehr gut an die damalige Berichterstattung der Uraufführung erinnern (Houston Grand Opera, Regie: Peter Sellars). Nun also an der Opéra National de Paris im grossen Haus an der Bastille in hervorragender Besetzung. Ein Werk, erstaunlich gut gealtert und mit einem topaktuellen Thema: Die Beziehungen Amerikas zu Chinas….
Letztes Jahr jährte sich dieser mehrtägige Besuch Richard Nixons zum fünfzigsten mal, kein Wunder also, war und ist das Werk nun wieder an mehreren Häusern zu sehen. 1972 war dies der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten seit der kommunistischen Revolution 1949. Dieser Besuch startet in Adams‘ Oper mit grosser Euphorie und Erwartungen, zuletzt herrscht grosse Resignation über die allzu grossen Gegensätzlichkeiten und offenbar unüberbrückbaren Differenzen. Mit THOMAS HAMPSON ist die Titelrolle prominent besetzt, jedoch gibt es einige Momente (trotz oder vielleicht auch wegen der von Adams gewünschten Mikrofonierung), an denen er schwierig zu hören ist, anderseits hat dieser technische Anteil dieser Produktion auch interessante sphärisch klingende Momente. Hampson ist ein grossartiger Darsteller, in Zürich war er zuletzt sehr präsent als Jan Vermeer in Stephan Wirths Oper „Girl with a Pearl Earring“ zu sehen. Sein Nixon ist weniger heroisch, es gibt einige emotionale Momente des sonst so beherrschten Präsidenten zu sehen, allerdings lässt ihn die offenbar sehr straffe Perücke und Maske häufig fast schon stark geliftet erscheinen, was dann doch sehr irritiert. RENÉE FLEMING’S Pat Nixon ist eine ideale Gattin, zurückhaltend, aus der Arbeiterklasse stammend, volksnah und mit der richtigen Menge an glaubwürdigem Pathos. XIAOMENG ZHANGs Chou En-Lai ist präsenter als von dieser Rolle erwartet. JOHN MATTHEW MYERS ist ein Mao Zedong mit grosser Stimme, in dieser Inszenierung fast schon als Karikatur gezeichnet. Sängerisches und darstellerisches Highlight jedoch ist unumstritten KATHLEEN KIM als Chiang Ch’ing, ein ehemaliges Starlet und vierte und letzte Gattin Maos sowie treibende Kraft hinter der chinesischen Kulturrevolution. Die ersten beiden Akte stumm und dennoch omnipräsent ist sie die Strippenzieherin der Marionette Mao, im dritten Akt dann ein grosser Moment für einen Koloratur-Sopran: „I am the wife of Mao“ ist nicht nur musikalisch anspruchsvoll, es ist auch einer der grossen dramaturgischen Momente des Werkes – absolut charismatisch überzeugt sie vollends und zeigt eine fanatische Frau, die im Hintergrund sämtliche Fäden zieht, ohne Rücksicht auf Verluste und ihren Mann fast schon zu einer Witzfigur degradiert. YAJIE ZHANG, NING LIANG und EMANUELA PASCU als Sekretärinnen Maos und JOSHUA BLOOM als Henry Kissinger komplettieren den hochkarätig besetzten Cast. Die Inszenierung der argentinischen Regisseurin VALENTINA CARRASCO bleibt nah am Geschehen mit stellenweise eindrücklichen Bildern und fliessenden Übergängen. Nach den ersten beiden bildstarken Akten (grossartig die Slowmotion-Szene mit den Ping-Pong spielenden Massen oder Pat Nixons Spaziergang mit Besuchen von Schulen und Schweineställen in Pekings Schneegestöber samt symbolträchtigem Kuschelmoment mit einem chinesischem Drachen…) fällt der dritte eher lyrische Akt ziemlich ab. Natürlich ist der Schluss eher kopflastig und dialogisch, fast schon philosophisch und kann mit der Bildsprache der erste Hälfte nicht mithalten, hier rutscht man doch im Sessel hin und her und schaut bisweilen dezent auf die Uhr. Stärkster und bewegendster Moment des Abends ist wohl die Filmeinspielung zwischen dem zweiten und dem dritten Akt, es ist ein Ausschnitt aus Isaac Sterns Dokumentarfilm „From Mao to Mozart“ aus dem Jahr 1981 und zeigt die Demütigung und Folter von Musiklehrern, die sich für den Unterricht westlicher Musik einsetzten – schreckliche Ausgeburten der Kulturrevolution. Die angeprangerte Gewalt seitens Amerika und China ist noch in weiteren Momenten zu sehen, etwa in Filmsequenzen zur Black-Live-Matters-Bewegung oder dem Tiananmen-Massaker, keine der beiden Grossmächte kommt hier gut weg. Der Abend gibt zu denken, zeigt er doch auch ein Abbild unserer heutigen politischen Situation. Der riesige Chor klingt prima und ist voller Spielfreude (Einstudierung: CHING-LIEN WU). Am Pult steht GUSTAVO DUDAMEL und dirigiert diese wunderbar flirrende, stellenweise sehr filigrane Partitur, die Musik von John Adams ist kraftvoll und überzeugt immer wieder durch die grossartige Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Diese neue Produktion von „Nixon in China“ ist für mich eine wunderbare Ergänzung zu einigen Konzerten des Tonhalle-Orchesters Zürich in der Saison 2021/2022, in denen sich alles um den Kosmos John Adams drehte und er selbst auch seine Werke dirigierte.
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
Siegfried – Oper Zürich 09.03.2023
Roberto Devereux – Oper Zürich 22.02.2023
Die Walküre – Bühnen Bern 19.02.2023
Eugen Onegin – Oper Zürich 16.02.2023
Der Rosenkavalier – Luzerner Theater 15.02.2023
La Bohème – Oper Zürich 28.12.2022
Eliogabalo – Oper Zürich 26.12.2022
Tosca – Oper Zürich 20.12.2022
Faust – Oper Zürich 06.11.2022
Barkouf – Oper Zürich 30.10.2022
Danke für die musikalische Schilderung,
gute Wünsche für die pazifischen Beziehungen
und schöne Osterfeiertage
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Das wünsche ich Dir auch mit vielen Grüssen aus Zürich! Herzlichst, A.
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❤️❤️
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