Zwei junge internationale Opernstars, die ihre Karriere in Zürich begannen in den Titelpartien von Gounods Oper „Roméo et Juliette“ und dazu Regisseur Ted Huffman – bessere Voraussetzungen kann es für die Premiere des Shakespeare-Stoffes nicht geben. Also viel Vorschusslorbeeren und eine immense Erwartungshaltung an diese Neuproduktion, die etwas zeitverzögert am gleichen Abend auf ARTE ausgestrahlt wurde – löst sich das ein…?
Die Inszenierung des amerikanischen Regisseurs TED HUFFMAN mit seiner Klarheit und der reduzierten Ästhetik des grossartigen Bühnenbildes von ANDREW LIEBERMANN ist umwerfend, die teils starken Bilder bleiben haften, dies war auch schon bei seiner letzten Zürcher Arbeit „Madama Butterfly“ der Fall. Losgelöst von Zeit und Ort nimmt das Drama in einem pastellfarbenen leeren Raum seinen Lauf – ein Warteraum der Geschichte, bis jeder der Protagonisten seinen Auftritt hat. Nur Stühle dienen der Orientierung und Abgrenzung zwischen den Capulets und Montagues. Von der ersten Minute an wird es für Romeo und Julia immer enger und zwar nicht nur buchstäblich, sondern auch auf der Spielfläche, die Rückwand verschiebt sich bis zur Rampe, an der sie zuletzt gemeinsam sterben. Das ist ein einfaches, beeindruckendes und sehr starkes Konzept. Die Bildwirkung ist immens. Auch mit dem Chor arbeitet Huffmann grossartig, schon lange nicht mehr so toll arrangierte Chorszenen gesehen. Die Tänzer:innen hingegen waren ganz nettes Füllmaterial, die Ballszene ein Debütantinnenball, steif und formell in seinen Konventionen, denen Romeo und Julia entfliehen wollen. Grossartig die ersten Begegnungen der beiden Liebenden, Julias erste grosse Arie – der Walzer „Je veux vivre“ – und das Finale des 3. Aktes vor der Pause (szenisch fulminant ist diese Messerstecherei der verfeindeten Familien und aus dem Graben tönt es ebenso!). BENJAMIN BERNHEIM ist ein grossartiger Romeo, nicht wirklich ungestüm, eher vernunftbetont, die Partie liegt ihm und sein strahlender Tenor klingt wunderbar in jeder Arie, in jedem Duett, selbst nach knapp 3 Stunden klingt er immer noch herrlich und höhensicher. JULIE FUCHS ist – wie immer – darstellerisch eine Wucht, man kann sich ihr nicht entziehen, auch wenn sie, wohl der Premierennervosität (Rollendebüt) geschuldet, die Partie vor allem zu Beginn manchmal etwas unsauber gestaltet, hier liegt noch viel mehr drin. Aus welchen Gründen auch immer, sind beide zusammen für mich keine super ideale Kombination am Premierenabend, für mich springt der Funke nicht über, es gibt keinen „magic moment“, aber – und das muss man dazu erwähnen – das liegt natürlich auch immer an der jeweiligen Befindlichkeit des Zuschauers. Wie schön, endlich mal wieder die grossartige KATIA LEDOUX (als Gertrude, Julias Amme) in Zürich zu sehen, auch wenn die Rolle im Grunde nicht so viel her gibt – sie macht etwas daraus (herrlich, wie sie da einfach sitzt und im Handspiegel ihre Pickel betrachtet!), sie ist eine imposante Erscheinung in ihrem fliederfarbenen Kostüm, inmitten der eher langweiligen Veroneser Gesellschaft – kein Wunder hat sie Verständnis für ihren Schützling Julia. Wie immer liefert BRENT MICHAEL SMITH (als sehr weltlicher und attraktiver Frère Laurent) eine absolut fundierte Leistung mit seinem wohlklingenden Bass. Und stimmlich und darstellerisch eine Augen- und Ohrenweide ist der Stéphano von SVETLINA STOYANOVA mit den Couplets – brava! Der Chor klingt erstaunlich präzise (Einstudierung: ERNST RAFFELSBERGER) und ist – dank der super Regiearbeit – präsent und nicht aufdringlich (wie so häufig). Bis in die kleinsten Rollen ist der Cast hervorragend besetzt, um noch die starken Sänger DAVID SOAR (Le Comte Capulet), YURIY HADZETSKYY (Mercutio), OMER KOBILJAK (Tybalt) zu nennen. Am Pult der PHILHARMONIA ZÜRICH steht bei dieser Aufführungsserie ROBERTO FORÉS VESES, der allzu grossen Gounod-Kitsch vermeidet und ein Freund zügiger Tempi ist (Danke!). Die Musik von Gounod hat ein paar schöne Duette und Szenen, insgesamt ist es schon schwülstig und stellenweise schmalzig triefend, der „Faust“ ist mir lieber, mein Lieblingskomponist wird Gounod nie werden. Durch die diversen Verzögerungen aufgrund ARTE-Anmoderationen etc. hat die Vorstellung dann auch länger als erwartet gedauert, es gab einige freie Plätze, selbst im Parkett. Ungewöhnlich für Zürich, aber eventuell dem Osterwochenende geschuldet. Eine starke Produktion, starker Applaus für die komplette Besetzung und das Regieteam. Bravi!
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