Während Petrenko den vorhergehenden Konzertabend mit Mahlers siebter Sinfonie dirigierte, hat er den zweiten Abend mit Schnittke und Schostakowitsch aufgrund einer Fussverletzung (analog der Salzburger Festspiele) abgesagt, Einspringer war der britische Dirigent DANIEL HARDING, der den BERLINER PHILHARMONIKERn bestens bekannt ist. Ein wunderbarer Ersatz als Einspringer, auch wenn man wegen Petrenko die Karten gekauft hat. Leider gab es dann statt Schostakowitschs 10. Sinfonie den ollen Bruckner zu hören….
Der erste Teil des Konzerts mit Schnittkes Concerto für Viola und Orchester ist schon eine Wucht und TABEA ZIMMERMANN als Interpretin ebenso. Stellenweise hat man als Zuhörer fast schon das Gefühl, dass es an die Grenzen der Spielbarkeit geht, was für eine Intensität und Emotionalität sind da zu hören, zu spüren. Das Konzert klingt wie eine einzige grosse weltumfassende Katastrophe, wie ein Untergangsszenario, auch wenn zwischendurch immer wieder wunderschön lyrische Momente auftauchen, die von Zimmermann intensiv und gefühlsbetont – man möchte es fast schon sagen – zelebriert werden. Als würde Schnittke an den schönen Momenten des Lebens festhalten wollen, bevor ihn der Tod dahinrafft. Kurz nach Vollendung des Werkes erlitt er dann auch einen ersten Schlaganfall, bei dem er für kurze Zeit klinisch tot war. Dieses Wissen macht diese Musik noch viel erlebbarer mit all seiner Schönheit und aufblitzenden Zitaten eines glücklichen Lebens, etwa in den kurzen Walzermomenten. Was für ein Werk. Was für eine Interpretin!
Alfred Schnittke: Concerto for viola and orchestra (1985) – Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 4 in Es- Dur (Die „Romantische“)
Nach der Pause dann statt der ursprünglich angekündigten Sinfonie Nr. 10 von Schostakowitsch also Bruckner Vier – eine Stunde kann so lang sein… Klar, immer wieder schön diese gewaltigen Blech-Fanfaren im 3. Satz, die an alte Ritterfilme denken lassen (auch wenn man zum Satzbeginn mit den Hörnern beim Jagdscherzo eher in Richtung „Heimatfilm“ assoziiert…) Aber dann dieser nie enden wollende vierte Satz, bei dem man ständig denkt nun ist es vorbei und sich dann doch immer wieder irrt. Das Finale mit diesem unglaublichen Crescendo der Streicher ist dann schon toll, auch weil die Erlösung von diesem – man kann es förmlich hören – verklemmten, erzkatholischen Bruckner naht. Man kann ihn mögen oder nicht, in den Konzertsälen dieser Welt tönt Bruckner immerfort und immerzu. Als gäbe es keine anderen grossen Sinfoniker:innen. Harding macht das Beste daraus und spielt sehr mit der Dynamik, das lässt an manchen Stellen dann doch aufhorchen, wo man fast schon am einschlafen war – hier hört man ein Orchester mit Weltformat, das eben nicht immer mit grossem Forte auftrumpft. Und auch das anfängliche Hornsolo klang wunderbar präzise und perfekt. Nach dem aufwühlenden Schnittke also ein versöhnlicher, romantischer Bruckner, der den Abend beschliesst, auch wenn der Schostakowitsch für meine Begriffe besser gepasst hätte. Der Weg nach Luzern hat sich wegen Tabea Zimmermann und dem famosen Schnittke gelohnt, in der Pause hätte man gehen können, denn Bruckner gibt es in dieser Saison in der Tonhalle Zürich noch zur genüge…
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Ich mag Schostakowitsch auch viel viel lieber als Bruckner. Ich verstehe deine Analyse gut, habe es aber in der Aufführung nicht gehört. Viele Grüße!!
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Lieber Alexander – och, diese olle Bruckner, als ich ganz jung war, fand ich seine Musik toll, jetzt kann ich es manchmal fast nicht mehr ertragen, man spürt förmlich diese Gläubigkeit von diesem (wahrscheinlich sexuell total frustrierten) Typen, der dann all seine Emotion in seine Musik gelegt hat. Dieser stellenweise Bombast ist irgendwie unerträglich, ich mag es nicht mehr hören. Finde das schon erstaunlich, wie sich im Laufe der Jahre mein Musikgeschmack verändert, meine wirklich grosse Wagnerleidenschaft, die ich seit jüngsten Jahren hatte, lässt auch immer mehr nach. Herzliche Grüsse aus der Schweiz! A.
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Ich glaube, du triffst ziemlich den Nagel auf den Kopf. Ich mag es sowieso bescheidener, mit Bach, mit Schubert, mit Beethoven, weiß auch nicht. Tschaikowsky mag ich auch, die Violinkonzerte, oder Sibelius. Ich mag sehr gerne kleinteilige, in sich zusammenhänge, sich weiterlaufende, permutierende Klangwelten 🙂 Ich mag deine Berichte immer sehr! Vielen Dank dafür.
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Ich habe auch meine Problemchen mit Bruckner, und versuche pro Saison nicht mehr als zwei Sinfonien zu hören, die dann aber mit Vorbereitung, und dann aber auch immer sehr gerne. Dummes Pech freilich, wenn einen eine Programmumstellung erwischt. Bei Wagner geht mir es ähnlich. Höre besonders die ganz langen Werke nicht mehr so gerne.
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In Zürich spielt das Tonhalle-Orchester die Symphonien Bruckners in dieser Saison ein, da steht mir wohl noch einiges bevor. Leider immer kombiniert mit Werken, die ich unbedingt hören will und ich gehe nicht in der Pause….. zur Eröffnung kommende Woche gleich die Achte…. naja, ich werde es überleben, aber ich finde es anstrengend. Aber nach der langen Sommerpause hat man ja auch wieder grosse Lust… – in diesem Sinne, herzlichst nach Berlin. A.
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