Colm Tóibín – Der Zauberer.

Ein Muss für jeden Fan der grossartigen Romane Thomas Manns, direkt zum Jahresbeginn eine packende Lektüre, ein grosser Künstlerroman. Colm Tóibíns „Der Zauberer“ bietet immenses Lesevergnügen!

Es ist ganz einfach: Die Mann Familie bietet unglaublich viel Stoff, unabhängig natürlich davon, dass Thomas Mann einer der bedeutendsten Romanciers der deutschen Sprache ist und man seine Romane immer wieder zur Hand nehmen kann und grosse Freude daran hat. Und schon erstaunlich, dass man in Tóibíns Roman viel neues erfährt, sicherlich viel spannender und interessanter erzählt, als in manch trockener Biografie. Einmal mehr ist man erschüttert über diese grosse Anzahl an Suiziden in dieser Familie und einmal mehr faszinieren die Biografien der Kinder Erika und Klaus Mann. Und einmal mehr bewegt es sehr zu lesen, wie die Situation in Deutschland unter den Nationalsozialisten war, so etwas darf nie mehr passieren. Aber auch nach dem Krieg, wenn Thomas Mann zum ersten mal wieder nach Deutschland reist und feststellen muss, wie vielen Altnazis er bei offiziellen Anlässen die Hände schütteln muss, trotz Entnazifierung und Verurteilungen. Tóibín erzählt von dieser Zeit äusserst sensibel und feinfühlig.

Colm Tóibín erzählt mit einmaliger Empathie das Leben von Thomas Mann als Roman. Von der Kindheit in Lübeck bis zur Heirat in München, von der Gegnerschaft gegen die Nazis bis zum amerikanischen Exil. Wie viele Gesichter hatte der weltberühmte Autor und Familienvater, der sein Gefühlsleben verborgen hielt, zerrissen zwischen homosexuellem Begehren und familiärem Pflichtgefühl, zwischen der Wonne der Bürgerlichkeit und der künstlerischen Askese? Selten wurde so feinfühlig, vorurteilslos und mit frappierender Leichtigkeit über den legendären Schriftsteller und seine schillernde Familie geschrieben. (Hanser Verlag)

Die latente und wohl eher wenig bis nie ausgelebte Homosexualität von Mann bekommt für meine Begriffe etwas zu viel Raum, interessant ist dieser Aspekt natürlich dennoch, stellenweise vielleicht etwas effekthascherisch behandelt, aber was soll’s. Insgesamt ein toller Page-Turner, ich wollte schon lange was von Tóibín lesen – „Haus der Namen“ liegt seit geraumer Zeit auf meinem Lesestapel. Die Lektüre von Tóibíns grossem Künstlerroman macht grosse Lust, sich wieder intensiver mit dem Werk von Thomas Mann zu beschäftigen und die noch nicht gelesenen Romane aufzuschlagen (immer aufgeschoben: die vier Josephs-Bände), unbedingt nochmals „Mephisto“ von Klaus Mann zu lesen, natürlich Heinrich Mann nochmals zur Hand zu nehmen und erneut „Mein Leben“ von Alma Mahler Werfel zu lesen. Thomas Mann war in meinem Leseleben immer sehr präsent und wir es also auch weiterhin bleiben…

„Der Zauberer“ von Colm Tóibín, 2021, Hanser Verlag, ISBN: 978-3-446-27089-3 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein digitales Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Hanser Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

Für Interessierte Thomas Mann – Fans: Literarische Orte #3: „Lido von Venedig“ und Literarische Orte #1: „Schatzalp in Davos“

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14 Kommentare

  1. kulturbowle

    Danke für die Vorstellung. Ich bin bisher um diesen Tóibín herumgeschlichen und habe dem Kauf noch widerstanden (obwohl ich von „Nora Webster“ sehr begeistert war), aber wenn ein Buch so viel Lust auf weiterführende und darüber hinausgehende Lektüre weckt, dann ist das ein sehr gutes Zeichen. Herzliche Grüße aus dem nebligen Niederbayern nach Zürich!

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    1. arcimboldis_world

      Hello aus Zürich! Wie gut, hat Dich „Nora Webster“ begeistert, ich war am überlegen, aber nun werde ich mir den wohl holen! 🙂 Und Thomas Mann und sämtliches was dazugehört, ist immer wunderbar. Ich liebe seine Romane und von Zeit zu Zeit nehme ich sie immer mal wieder zur Hand. „Der Zauberer“ hat mir wirklich sehr gut gefallen! Enjoy! Herzlichst! A

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  2. frau frogg

    Toibin ist ein Könner, ich habe von ihm vor zwei Jahren „The Heather Blazing“ gelesen und bin noch in Erinnerung hingerissen von der Strenge dieser Erzählung, die so gut zur Hauptfigur passt, einem Richter, der ein hartes Leben gehabt hat und vor einer schwierigen Entscheidung steht. Ich nehme das Buch gerne auf die Liste.

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    1. arcimboldis_world

      Ich wollte eben schon immer mal was von ihm lesen und als grosser Fan von Thomas Mann, hat sich das nun angeboten. Hat mir super gut gefallen. Hier liegt noch „Haus der Namen“, was mich auch sehr vom Thema interessiert. Ich bin sehr gespannt. Und grüsse herzlichst! A.

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