Patricia Highsmith – Tage- und Notizbücher.

2021 wäre sie 100 Jahre geworden – die amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith, die jedoch die Hälfte ihres Lebens in Europa verbrachte und hier auch weit mehr geschätzt wird, als in ihrer Heimat. An ihrer imposanten Figur Tom Ripley kommt man als Leser nicht vorbei, ihr Leben war ebenfalls alles andere als langweilig oder uninteressant. Im Diogenes Verlag sind letzten Herbst ihre Tage- und Notizbücher erschienen – schnell weiss man: ihre politischen Gedanken sind in dieser Ausgabe Nebensache, viel spannender sind kleine und intime Details, ihre Liebschaften, Selbstzweifel, die Schneckenzucht – unterhaltsam, informativ, erfrischend freizügig…

Ein dicker Schmöker ist es schon (1376 Seiten samt Personenregister, Auwahlbibliographie, Filmographie, editorischen Notizen etc. ) – aber eine spannende Lektüre gleichwohl. Patricia Highsmith führte seit ihrer College-Zeit Tagebuch und so verwundert es nicht, dass 1995 nach ihrem Tod im Wäscheschrank 18 Tage- und Notizbücher gefunden wurden. Anna von Planta hat diese nun herausgegeben (aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg). 1921 in Fort Worth (Texas, USA) geboren, war sie zeitlebens eine Reisende, eine Unstete, Rast- und Ruhelose, 1963 zog sie nach Europa, war nie lange an einem Ort, erst ab 1981 kehrte etwas Ruhe ein, als sie ins Tessin zog, wo sie 1995 verstarb – hier in Tegna liegt sie auch begraben.

In dieser erstmaligen Auswahledition lernen wir Patricia Highsmith 1941 kurz vor Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg als eine von Frauen wie Männern umschwärmte 20-jährige Collegestudentin in New York kennen. Die sich vom Schreiben und nur vom Schreiben ernähren will, kaum schläft und mehrere Leben gleichzeitig lebt. Zu Hause in der New Yorker Bohème und unter der künstlerischen Avantgarde, bricht sie mit 28 voller Hoffnung zu einem nomadischen Leben in Europa auf – wo sie (dank Alfred Hitchcocks Verfilmung ihres Erstlings ›Zwei Fremde im Zug‹) bald zum gefeierten Star wird. Mit ihrer geographischen gibt sie jedoch auch ihre emotionale Heimat auf und versucht ihr restliches Leben, in der Fremde Wurzeln zu schlagen. Zuletzt spricht aus den Seiten eine oft bittere, aber wache Frau, die von wenigen Freunden sowie ihren Schnecken und Katzen umgeben in ihrer Tessiner Festung gegen das Kranksein und das Schwinden ihrer Kräfte anschreibt. (Diogenes Verlag)

Klar ist jedenfalls, dass Highsmith in jüngeren Jahren ihre Sexualität promisk ausgelebt hat, darüber freut man sich fast ein wenig, wenn man weiss, wie zurückgezogen, fast schon weltabgewandt, auf jeden Fall eigenbrötlerisch sie die letzten Jahre im Tessin verbracht hat. Und das Bild, das man von ihr hat, diese Härte, dieser Schaffensrausch, immer mit einer Zigarette in der Hand oder im Mund – das bekommt man auch bestätigt. Und noch viel mehr. Allerdings auch mit einigen Auslassungen und Strichen, zwar gibt es dazu eine editorische Anmerkung der Herausgeberin, dennoch sind es die nicht vorhandenen Dinge, die man als Leser gerne wüsste. Es ist ja kein grosses Geheimnis, dass sie sehr zum Antisemitismus neigte und dies auch äusserte. Da es sich um Tagebücher handelt, sind es oftmals intime Bekenntnisse und Blicke in Emotionen und Selbstreflexionen. Zusammen mit der grossen Biografie von Joan Schenkar „Die talentierte Miss Highsmith“ (2015, ebenfalls bei Diogenes erschienen) bietet diese Ausgabe die Möglichkeit, sich ein gutes Bild dieser vielseitigen Schriftstellerin zu machen. Der Inhalt gliedert sich in folgende Lebensabschnitte:

1921-1940 Die frühen Jahre zwischen Texas und New York / 1941-1950 Leben und Schreiben in New York / 1951-1962 Zwischen den USA und Europa / 1963-1966 England oder der Versuch, sesshaft zu werden / 1967-1980 Rückkehr nach Frankreich / 1981-1995 Lebensabend in der Schweiz

In einem Zuge liest man das sicherlich nicht, aber ab und zu darin blättern und sich nach und nach auszugsweise in Highsmith zu versetzen, gleichzeitig einmal mehr die Ripley-Romane hervorkramen und in dessen Welt eintauchen – das ist Lesevergnügen pur!

„Patricia Highsmith: Tage- und Notizbücher“, 2021, Herausgegeben von Anna von Planta, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07147-4  (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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