The Cellist – Ballett Zürich 18.05.2023

Es ist lange her, dass mich eine Tanzproduktion so sehr bewegt hat wie „The Cellist“ – die erste Produktion der neuen Ballettdirektorin des Zürich Balletts ab Herbst 2023 CATHY MARSTON. Natürlich haben mich immer wieder Choreografien begeistert und mitgerissen, aber nicht dermassen zu Tränen gerührt und bewegt, wie diese wundervolle Arbeit über die Ausnahme-Cellistin Jacqueline du Pré…

Es war wohl zuletzt 2016 Christian Spucks „Requiem“, das mich emotional ähnlich erschüttert hat. Marston erzählt du Prés tragische Geschichte hochsensibel in packenden Bildern und mitreissender Choreografie, lobenswerterweise verzichtet sie komplett auf reisserische Töne und Skandale und der Dirigent (also Daniel Barenboim) kommt gar nicht einmal so schlecht weg, als Sympathieträger wird er allerdings auch nicht gezeichnet. Fokus ist die Beziehung der Solistin zu ihrem Instrument – wir sehen die Liebesbeziehung von Jaqueline du Pré zu ihrem Violoncello. Dieser dramaturgische Kniff ist grossartig, gemeinsam mit ihrem Dramaturgen EDWARD KEMP hat Marston ein Szenarium entwickelt, welches straff und innerhalb einer guten Stunde die wichtigsten Punkte im Leben dieser grossartigen Solistin erzählt, ohne gross ins Dokumentarische zu verfallen. Wunderbar zu sehen, wie sie als Kind ihre Liebe zu diesem Instrument entdeckt und sich diese innige Beziehung zum Cello manifestiert, wohlbehütet von den Eltern, liebevoll mit den gestrickten Jäckchen der Mutter (ELENA VOSTROTINA) ausgestattet. Dann der Meilenstein – die Begegnung mit dem Dirigenten, faszinierender Mittelpunkt des Stückes – die Konzertsituation und dazu immer wieder die umwerfende und betörende Musik von Elgars Cellokonzert. Das war wohl für mich auch das ausschlaggebende Moment für diese immense Ergriffenheit, denn während meiner Jugend hat mich genau dieses Konzert in einer Einspielung mit Jacqueline du Pré jahrelang begleitet und begeistert mich heute noch. Im Grunde genommen drängt sich der Dirigent mit seiner Liebe zwischen die Beziehung der Solistin zu ihrem Instrument, durchbricht diese Symbiose, diese Einheit, zu der sie erst spät wieder zurückfinden. Nach dem Rausch der jüdischen Hochzeitszeremonie, grosser Liebe und weltweiten Erfolgen des aufstrebenden Künstler-Paares dann die Ernüchterung: Jaqueline du Pré erkrankt schwer an multipler Sklerose, man leidet mit, wenn ihre Muskeln zucken und sie ihre Gliedmassen nicht mehr unter Kontrolle hat. Erst mit fortschreitendem Stadium ihrer Erkrankung, wenn sich der Dirigent zurückzieht (und bereits eine neue Beziehung eingeht), tritt das Cello wieder in den Vordergrund. Diese ungestüme Liebe, diese Verzweiflung über die Krankheit und das Karriereende, das nicht geglückte Comeback auf der Konzertbühne und schliesslich das Lebensende, verlassen und von der Krankheit gezeichnet – das ist so bewegend, das sind dermassen starke Bilder, dass kein Geräusch im Saal mehr zu hören ist, wenn dieses Leben endet. Die Besetzung der von mir besuchten Vorstellung ist grossartig – FRANCESCA DELL’ARIA ist umwerfend als Die Celllistin, überzeugend, nicht nur tänzerisch auch in der Ausgestaltung der Rolle (ihre lebensbejahende Fröhlichkeit, ihr Talent, später die tiefe Traurigkeit, Hilflosigkeit und Wut über die Krankheit) und gemeinsam mit JAN CASIER (Das Instrument) und MATTHEW KNIGHT (Der Dirigent) eine starke Dreierbeziehung mit kraftvollen Pas de deux und wirbelnden energiegeladenen Pas de trois. Stilistisch und choreographisch hebt sich Marstons Arbeit klar von Christian Spuck ab, man wird wohl zukünftig wieder vermehrt Spitzentanz sehen und wohl vermehrt in menschliche Abgründe blicken. Eine neue Ära bricht an, so sehr man Spuck vermissen wird nach diesen grossartigen Jahren seiner Ballettdirektion, so toll ist nun dieser Aufbruch. In dieser Produktion – die 2020 am Royal Opera House London seine Uraufführung hatte, stimmt alles: HILDEGARD BECHTLER hat ein flexibles Setting erschaffen, dezent und eher dunkel ausgeleuchtet von JON CLARK, die dezent zurückhaltenden fliessenden Kostüme der Solist:innen und des Ensembles (Ballett Zürich, Junior Ballett und Schülerinnen der Tanz Akademie Zürich) sind von BREGJE VAN BALEN und in den 50er/60er Jahren verortet. Die Musikarrangements mit Werken von Edward Elgar, Ludwig van Beethoven, Gabriel Fauré, Felix Mendelssohn Bartholdy, Alfredo Piatti, Sergej Rachmaninow und Franz Schubert zusammen mit den Originalkompositionen stammen von PHILIP FEENEY und sind grossartig, stellenweise raffiniert, vermeiden jeden Kitsch und übergrossen Pathos. Am Pult der PHILHARMONIA ZÜRICH steht PAUL CONNELLY, wundervoll am Violoncello LEV SIVKOV, am Klavier KATERYNA TERESHENKO. Es ist eine Hommage an die grosse Künstlerin Jacqueline du Pré und ein gelungener Einstand für Cathy Marston! Starker und langanhaltender Applaus und grosse Vorfreude auf die kommenden Jahre…

Zuletzt besuchte Ballett/Tanz-Produktionen:

Coppélia (Edward Clug) – Theater Basel 23.04.2023

Gauthier Dance Company: The Seven Sins – Theater Winterthur 14.04.2023

ANNE TERESA DE KEERSMAEKER: 5AGON – MUSÉE D‘ART MODERNE DE PARIS 31.03.2023

PIT (Bobbi Jene Smith/Or Schreiber) – BALLET DE L‘OPÉRA NATIONAL DE PARIS 29.03.2023

On the Move (van Manen/Stiens/Spuck) – Ballett Zürich 29.01.2023

Giselle – Theater Basel 15.01.2023

Il lago dei cigni (Schwanensee) – LAC Lugano 10.12.2022

Nachtträume/Marcos Morau – Ballett Zürich 09.10.2022

Dornröschen – Ballett Zürich 06.06.2022

Peer Gynt/Edward Clug – Ballett Zürich 26.05.2022

Ruß – eine Geschichte von Aschenputtel – Badisches Staatstheater Karlsruhe 30.04.2022

Ein Kommentar

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