Mieko Kawakami – Brüste und Eier.

Mit dem ungewöhnlichen Titel „Brüste und Eier“ und einem kitschigen – in rosa und hellblau gehaltenem – Collagen-Buchcover (in Anlehnung an Michelangelos Deckenfresko in der sixtinische Kapelle) schafft es der Verlag zweifelsohne die Aufmerksamkeit auf diesen Roman der japanischen Autorin Mieko Kawakami zu lenken – aber wie ist der Roman?

„Chichi to Ran“(乳と卵), wie eine Kurzgeschichte der Autorin im Original heisst, wurde 2007 mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet und bildet die Basis für den nun in erweiterter Form 2017 veröffentlichten Roman. Wer meinen Blog kennt, weiss, dass ich oft japanische Gerichte zubereite und sich das ein oder andere Buch japanischer Autor*innen auf meinem Lesestapel befindet. Egal, ob zuletzt „Geständnisse“ oder „Schuldig“ von Kanae Minato oder eines der vielen Werke von Haruki Murakami (zuletzt gelesen die beiden Bände „Die Ermordung des Commendatore“) – Literatur japanischer Autor*innen ist meist sehr interessant und faszinierend. Auch „Brüste und Eier“ gibt einen aktuellen Einblick in die japanische Alltagskultur, in diese immer noch fast ausschliesslich von Männern geprägte Gesellschaft. Der Roman ist originell, der Text hochliterarisch. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Natsuko – asexuelle Autorin – hat so gut wie keine Tabus, das ist wohl in Japan ein Aufreger. Klar ist, über gewisse Themen wird (in der Öffentlichkeit) nicht gesprochen, die Ehre der Männer darf nicht angetastet werden, selbst wenn sie zeugungsunfähig sind und man heimlich durch anonymen Fremdsamen den obligatorischen Kindersegen herbeiführt.

An einem drückend heißen Sommertag wird die dreißigjährige Natsuko von ihrer älteren Schwester Makiko und deren Tochter Midoriko in Tokio besucht. Makiko, die mit zunehmendem Alter mit ihrem sich verändernden Körper nicht zurechtkommt, ist davon besessen, sich einer Brustvergrößerung zu unterziehen. Währenddessen ist ihre zwölfjährige Tochter Midoriko von der einsetzenden Pubertät überfordert und sieht sich außerstande, in einer Gesellschaft, die alles Intime und Körperliche tabuisiert, ihre Ängste, Bedürfnisse und Fragen offen zu kommunizieren. Und auch die asexuelle Natsuko hadert mit der Frage, welche Rolle noch bleibt – als unverheiratete Frau, die nicht mehr Tochter ist und vielleicht nie Mutter sein wird. (Dumont Verlag)

Der Roman ist erfrischend anders, liest sich zügig und lädt die Leserschaft oftmals ein, gewisse Fakten zu recherchieren und sei es nur der aktuelle Währungskurs des japanischen Yen, um festzustellen, was denn nun in Japan gerade ein Brustimplantat kostet. Narrativ spannend im ersten Teil ist sicherlich die stumme Nichte Midoriko, deren Tagebucheinträge für sich sprechen. Allerdings fragt man sich, warum ein so grosser Zeitsprung zum zweiten Teil erfolgt? Am Ende des Buches bleibt zunächst die Frage, ob es das nun gewesen ist, nach einiger Zeit stellt man jedoch fest, dass viele Dinge immer noch sehr präsent sind und man sich damit beschäftigt. Eine interessante Entdeckung und wenn man sich für Japan interessiert, eine sehr lohnenswerte Lektüre.

„Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami, 2020, Dumont Verlag, ISBN 978-3-8321-8373-8 (Werbung)

Zuletzt gelesen:

Christian Kracht – Eurotrash

Bernardine Evaristo – Mädchen, Frau etc.

Clarice Lispector – Aber es wird regnen

Benedict Wells – Hard Land

Tarjei Vesaas – Die Vögel

Charles Lewinsky – Der Halbbart

Nina Gladitz – Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin

100 Jahre Highsmith & Dürrenmatt: 2 Biografien

Joachim B. Schmidt – Kalmann

Ann Petry – The Street

7 Kommentare

  1. eatingrabbits

    Spontan dachte ich bei dem Titel, es ginge um artgerechte Tierhaltung, das Schreddern oder Vergasen von männlichen Küken und den gedankenlosen Konsum der Westeuropäer von Hühnerbrüsten (kann man ja fast als Fetisch bezeichnen). Vielleicht sollte ich weniger über Lebensmittel nachdenken…

    Gefällt 2 Personen

Diesen Beitrag von arcimboldis_world kommentieren

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