Delphine de Vigan – Les Loyautés.

Für mich ist dieser 2018 erschienene Roman von Delphine de Vigan ein absolutes Highlight, die Autorin eine Entdeckung. „Les Loyautés“ hat mich sehr bewegt und umgetrieben – moderne, zeitgenössische, fast schon radikale Literatur ist das für mich, ein grossartiges Abbild unserer Gesellschaft…

„Les Loyautés“ ist der erste Roman, den ich auf Französisch lese, das ist nicht so einfach für mich, denn das Werk ist – wie ich finde – hochliterarisch. Also lese ich ihn parallel noch auf Deutsch, das hilft mir sehr, hier kann ich diese wunderbar schlichte Schönheit des Textes besser würdigen. Eine prachtvolle Übersetzung von Doris Heinemann. Für mich ist dieser Roman in seiner Schlichtheit eine Offenbarung.

Der 12-jährige Théo ist ein stiller, aber guter Schüler. Dennoch glaubt seine Lehrerin Hélène besorgniserregende Veränderungen an ihm festzustellen. Doch keiner will das hören. Théos Eltern sind geschieden und mit sich selbst beschäftigt. Der Junge funktioniert und kümmert sich um die unglückliche Mutter und den vereinsamten Vater. Um ihren Sohn müssen sie sich keine Sorgen machen. Doch Théo trinkt heimlich, und nur sein Freund Mathis weiß davon. Der Alkohol wärmt und schützt ihn vor der Welt. Eines Tages wird ihn der Alkohol ganz aufsaugen, das weiß Théo. Doch wer sollte ihm helfen? Hélène, seine Lehrerin, würde es tun, wie aber soll das gehen, ohne dass er die Eltern verrät? Mathis beobachtet das alles voller Angst. Zu gerne würde er sich seiner Mutter anvertrauen, allerdings ist Théo sein einziger Freund. Und einen Freund verrät man nicht. Außerdem würde er damit auch demjenigen in den Rücken fallen, der den Minderjährigen den Alkohol besorgt. Und der ist es, der das gefährliche Spiel in dem schneebedeckten Park vorschlägt, bei dem Théo bewusst den eigenen Tod in Kauf nimmt. (Dumont Verlag)

Loyalität ist das grosse Grundthema dieses Romans, wer möchte nicht loyal sein, den Menschen gegenüber, die etwas bedeuten, die man liebt, mit denen man sein Leben teilt? Es ist ein knapp erzähltes Sozialdrama, ein uns allen vorgehaltener Spiegel, es gibt so viele Momentaufnahmen, in denen man sich wiederfindet. Grossartig beschreibt de Vigan eben diese Alltagsloyalitäten, das ist stellenweise hart in seiner Deutlichkeit und man hat zu schlucken. Sie bemüht sich nicht um Metaphern, sie schreibt ungeschönt, klar und deutlich, da ist es manchmal schwer, einfach darüber hinweg zu lesen. Manche Sätze treiben mir Tränen in die Augen. Es sind die unterschiedlichen Perspektiven, die diese Momentaufnahme im Leben der verschiedenen Protagonisten, die doch untrennbar miteinander verknüpft sind, mit Leben füllen und erschüttern. Es ist diese Wahrhaftigkeit, die mich als Leser mitreisst und berührt. Und wenn ich die anderen Romane de Vigans recherchiere, so habe ich das Gefühl, dass sich für mich hier noch sehr viel Lesestoff verbirgt. Eben – eine Entdeckung und grosse Empfehlung!

„Les Loyautés“ von Delphine de Vigan, 2018, JC Lattès / auf deutsch bei Dumont 2019 „Loyalitäten“, ISBN: 978 3832183592 (Werbung)

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