Al gran sole carico d’amore – Theater Basel 22.09.2019

Wenn man mit einem derartigen Stück die Saison eröffnet, ist dies für Marketing und Pressestelle eines Theaters eine spannende Sache. Mutig kann man das heutzutage aber nicht mehr nennen, eine Oper von Luigi Nono (aus den Siebziger Jahren) zu zeigen…

Im Kontext zur heutigen Situation des Weltgeschehens macht das aber sicherlich Sinn, Nonos grosse Revolutionsoper „Al gran sole carico d’amore“ (1975 in  Mailand unter Claudio Abbado uraufgeführt) auf den Spielplan zu setzen: Frauen erheben die Stimme, Ungerechtigkeit an allen Ecken und Enden in unserer Welt. Es braucht Kämpfer und Kämpferinnen gegen die Diktatoren und Populisten der heutigen Zeit. Das ist aber das Problem der Inszenierung von SEBASTIAN BAUMGARTEN. Alles wirkt etwas hausbacken, staubig und althergebracht, trotz schöner Bilder, Videos, Choranordnungen. Schade, ist das etwas beliebig und mit fast keinem Bezug zur heutigen Zeit. Wie ein bunter Bilderbogen, der mit dem Vietnam-Krieg endet. Lobenswert ist diese Schweizer Erstaufführung allemal. Interessant zu sehen ist diese Collage mit vielen Textzitaten grosser Namen von Che Guevara, Brecht bis Karl Marx, aber noch viel wichtiger sind die eher unbekannten Frauen, die dem Geschehen des Abends den Stempel aufdrücken und denen diese Oper wohl auch gewidmet ist – zum Beispiel: Tamara Bunke (eine in Argentinien geborene deutschstämmige Guerillakämpferin im Gefolge Che Guevaras) oder die französische Lehrerin, Anarchistin und zentrale Gestalt der Pariser Kommune von 1871: Louise Michel. Eine weitere (fiktive) Figur der Mutter tritt ab dem Ende des ersten Teils prominent in den Vordergrund. Um all diese Frauen geht es, um ihre Geschichten, um ihren Hintergrund, um ihren Kampf. Der Bogen spannt sich dabei von der Pariser Kommune und den Ereignissen 1871 bis hin zum Vietnamkrieg, dazwischen viele Stationen, Bilder, Filmausschnitte, alles etwas starr, dokumentarisch, verhaftet. Wo bleibt der Bezug zur heutigen Situation? Alles wirkt etwas konstruiert und gewollt, fast schon steif, einzig die ab und zu bewegten Bilder von CHRIS KONDEK geben der Umsetzung etwas Lebendiges. es wirkt fast so, als hätte Baumgarten sich nicht getraut. Das ist schade und hinterlässt einen etwas öden, ja fast schon faden Beigeschmack, man hätte sich doch etwas mehr „Schmackes“ zu dieser Musik gewünscht. Der Chor sowie das ganze Ensemble vollbringt eine tolle Leistung, alle wirken sehr engagiert und präzise – besonders erwähnenswert die omnipräsenten Sopranos 1 – 4 (SARA HERSHKOWITZ, CATHRIN LANGE, SARAH BRADY und KRISTINA STANEK). Der musikalische Leiter dieser Produktion JONATHAN STOCKHAMMER (zuletzt mit der Leitung der sehr coolen UA von  „Last Call“ an der Oper Zürich betraut und noch immer famos in Erinnerung von der wunderbaren „Satyagraha“-Produktion, ebenfalls am Theater Basel) und das Sinfonieorchester Basel bringen diese Partitur zum Leuchten, differenziert, eindringlich, intensiv. Die Rolle der Voce di Donna wurde mit CARINA BRAUNSCHMIDT aus dem Schauspiel-Ensemble besetzt, man bekommt aber nicht so viel von ihr mit, auch ihr Kostüm ist etwas irritierend – aber sie ist wohl die verbindende Klammer des Abends, als Journalistin zeichnet sie alles auf, dokumentiert und erinnert (für die Nachwelt?). Ein interessantes Werk, aber trotz der vordergründigen Bilder von Baumgarten schafft man nur schwerlich einen Zugang und so bleibt der Abend etwas unbefriedigend. Schade.

„Al gran sole carico d’amore“ von Luigi Nono, UA 1975 in Mailand

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

„Einstein on the Beach“ – Grand Théâtre de Genève 13.09.2019

„Elektra“ – Oper Zürich 15.07.2019

„Last call“ (UA) – Oper Zürich 28.06.2019

„Tristan und Isolde“ – Theater Bern 27.06.2019

„Hippolyte et Aricie“ – Oper Zürich 07.06.2019

„La sonnambula“ – Oper Zürich 09.05.2019 (konzertant)

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