Die Physiker – Theater Basel 17.12.2021

Dürrenmatts Erfolgsstück „Die Physiker“ ist in Basel am Schauspielhaus zu sehen – in einer Rekonstruktion der knapp 60jährigen Inszenierung der Uraufführung (1962, Kurt Horwitz, Schauspielhaus Zürich), inszeniert vom Ensemble….

Diese Komödie von 1960 (von Dürrenmatt für seine Werkausgabe 1980 nochmals geringfügig überarbeitet) ist immer noch witzig, aktuell und in dieser schwarz-weissen Rekonstruktion wie aus der Zeit gefallen, das macht diese Produktion zu einem sehr speziellen Erlebnis. «Was alle angeht, können nur alle lösen», schrieb Dürrenmatt und so wurde auf einen Regisseur verzichtet und das ganze vom Ensemble im Kollektiv selbst auf die Bühne gebracht. Heute befinden wir uns mit der Covid19-Pandemie in einer weltweiten Krise, das Stück entstand in einer ähnlich angespannten Situation, es war die Zeit des kalten Krieges, der Kuba-Krise. Die atomare Gefahr war allgegenwärtig, man kann sich sehr gut vorstellen, wie topaktuell das Stück seinerzeit bei der Uraufführung war, nicht umsonst, wurde es weltweit gespielt. Aber auch heutzutage hat das Stück an seiner Brisanz nichts verloren, auch wenn es sehr amüsant ist und man stellenweise herzhaft lachen muss. Das liegt an den witzigen Dialogen und dem eingespielten Ensemble, jeder Anschluss sitzt, hervorragendes Timing, auch wenn es in der besuchten Vorstellung einige Versprecher gab, aber das macht diese Inszenierung liebenswürdig und charmant, man hat stellenweise das Gefühl, einen alten Schwarz-Weiss-Film zu sehen, vor allem das Frauenbild und die permanenten konsumierten Zigarren, Zigaretten und Schnäpse erscheinen dem Zuschauer heute doch als sehr befremdlich. Die konsequent in Grautönen gehaltene Ausstattung (Bühne: UTE RADLER nach den Entwürfen von Teo Otto, Kostüme: BENJAMIN BURGUNDER) orientiert sich an noch erhaltenen Fotos der Original-Inszenierung, eine Aufzeichnung war nicht mehr vorhanden liest man im Programmheft. Das ist witzig, denn sogar das Anstalts-Abendessen ist komplett in schwarz-weiss gehalten, wirkliche Freude am Detail in der Ausstattung – wunderbar. Das Frauenbild ist hausbacken und verschroben, ein interessanter Einblick in jene Zeit. Eine immer noch stringente Inszenierung, temporeich und unterhaltsam. Ein Klassiker. Das liegt auch am hervorragend besetzten Ensemble (CARINA BRAUNSCHMIDT – Dr. Mathilde von Zahnd/VERA FLÜCK (köstlich!!!)/NAIRI HADODO/JÖRG POHL – Newton/FABIAN DÄMMICH – Einstein/MÖBIUS – Fabian Krüger/JULIAN ANATOL SCHNEIDER/ANDREA BETTINI – auch köstlich als Dürrenmatt vor dem Vorhang zu Beginn mit einer Anekdote zum Thema „Was ist Humor?“ ), einzig ANTOINETTE ULLRICH, JOSHUA WALTON und MARVIN GROH vom Schauspielstudio der Hochschule der Künste Bern nerven etwas, sie sind so überinszeniert und irgendwann hat man sich am übertriebenen Klamauk der drei Jungschauspieler:innen in ihren vielfältigen Rollen sattgesehen. Alles in allem – ein absolut unterhaltsamer Abend und natürlich komplett anders als die zuletzt gesehene schräge Herbert-Fritsch-Inszenierung des Dürrenmatt Klassikers 2013 am Schauspielhaus Zürich.

Zuletzt besuchte Schauspielproduktionen:

King Lear – Schauspielhaus Zürich 15.12.2021

Monkey Off my Back or The Cat’s Meow – Schauspielhaus/Schiffbau 12.12.2021

Orpheus – Schauspielhaus Zürich/Schiffbau 22.09.2021

Lieder ohne Worte – Theaterhaus Gessnerallee 20.06.2021

Das Weinen (Das Wähnen) – Schauspielhaus Zürich 18.10.2020

Der Mensch erscheint im Holozän – Schauspielhaus Zürich 01.03.2020

Orest in Mossul – Schauspielhaus Zürich 05.10.2019

10 x 10 Abschlussfest Intendanz Barbara Frey – Schauspielhaus Zürich 29.06.2019

„Die grosse Gereiztheit“ – Premiere/Schiffbau 15.05.2019

„Totart Tatort“ – Schauspielhaus Zürich 28.04.2019

„Dorian Gray“ – Theater Winterthur (Gastspiel Burgtheater Wien) 29.03.2019

3 Kommentare

  1. arnoldnuremberg

    Danke Arcimboldi,
    für die neuerlichen Physiker von Dürrenmatt aus Basel.
    In der Arche-Ausgabe finde ich im Bücherschrank zum Schluss 21 Punkte zu den Physikern. Unter Nummer 17 schreibt Dürrenmatt:
    „Was alle angeht, können nur alle lösen.“
    Viele Grüße aus Nürnberg
    Bernd

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    1. arcimboldis_world

      Lieber Bernd, ach Nürnberg, ich habe da so lange gelebt…. – alles so weit weg und vergessen… 🙂 Ja, das war wirklich cool, diese Inszenierung der Uraufführung aus heutiger Perspektive zu sehen, vor allem das Frauenbild hat mich als Zuschauer dann schon erschüttert, aber erstaunlich, wie gut diese Inszenierung gealtert ist! Ich grüsse Dich herzlichst aus Zürich. A.

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