Monkey Off My Back or The Cat’s Meow – Schauspielhaus/Schiffbau Zürich 12.12.2021

„A piece for dancers and actors“ nennt TRAJAL HARRELL sein neues Stück, welches am 3. Dezember in der grossen Schiffbauhalle in Züri West seine Premiere hatte und stellt sich selbst auf der Webseite des Schauspielhauses Zürich die Frage, wie etwas aus nichts entstehen kann…

Ob der Regisseur und Choreograph für sich darauf eine Antwort gefunden hat, ist ihm zu wünschen, dem Zuschauer bleibt nach zwei Stunden Defilee des Ensembles aus Tänzer:innen und Schauspieler:innen nur eines: grosse Ratlosigkeit. Und die Frage: was soll DAS bitteschön gewesen sein? Bereits der Titel und auch ein weiterer kurzer Satz auf der Webseite des Schauspielhauses zur Inhaltsangabe versprechen alles und halten nichts: „So entsteht ein Stück, das zwischen historischen Bezügen und Pop-Kultur, zwischen Alltagsgesten, sozialen Mustern und Posen die Kräfte des Körpers beschwört.“ Was hier mit den Keywords „50 % Contemporary Dance/50% Music/100 % Personal Invitation“ angepriesen wird, entpuppt sich als ein obskures Sammelsurium von Gesten und Zitaten aus längst vergangenen Zeiten, als Vogueing absolut trendy war und seine Blütezeit erlebte mit der Musik von Madonna und Malcolm McLaren oder Filmen wie „Paris is Burning“. Dabei war dieser Tanzstil schon damals nicht neu, sondern entstand in der schwulen Ballroom-Szene von New York Harlem in den 1970er Jahren. Als der Choreograph zu Beginn des Stückes das Mikrophon in die Hand nimmt und uns mitteilt „Hello my Name is Anna Wintour“ löst das fast ein wenig Heiterkeit aus, denn nun entscheidet er stellvertretend für die Herausgeberin und Stil-Ikone – was in und/oder out ist. Dieses Stück will so vieles, vor allem will es modern und zeitgemäss sein, dabei ist es absolut old-fashioned und zeugt von einer längst vergangenen Epoche und nicht mehr existierenden Club-Kultur. „Monkey off my back“ ist ein Sprichwort und bedeutet, sich von einem Problem zu befreien – will uns das der Choreograph vermitteln? Ist es eine Selbst-Therapie von Harrell? Das Pseudo-Spektakel ist also eine zweistündige pathetische Egomanie des Choreographen, der es sich nicht nehmen lässt, ab und zu den Catwalk mit seinem Ensemble entlangzuschreiten oder mit grossem Pathos und tränenreich auf der weissen Sofalandschaft liegend zu schluchzen. Ab und an durchbricht ein Zitat oder Querverweis die öde Repetition, wie beispielsweise die Plastiküberwürfe „The King is naked“, gleichbedeutend mit der Unfähigkeit Kritik zu üben. Überhaupt ist das wohl ein assoziativer Abend und jeder Zuschauer ist sich und seinen Bildern und Gedanken überlassen, bloss keine Festlegung, möglichst nichts definieren. Ein Grossteil der Tänzer:innen und Schauspieler:innen sind eine Augenweide, das liegt an den witzigen, kreativen Kostümen, an ihrer Ausstrahlung, an ihrem Walk und manch fantastischer Attitude (herausstechend: SONGHAY TOLDON). Was lernt man ausserdem? Für einen grazil-eleganten Walk braucht es keine High-Heels – es ist auch barfuss und unbeschuht möglich – grossartig! Und das Highlight: die umwerfende Energie des Ensembles zu den treibenden Beats während der lautstark rezitierten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 – diese Sequenz bläst die dürftig besetzten Zuschauerreihen weg und weckt die teils dahindösende Zuschauerschaft auf. Sonst aber immer wieder repetitive Walks, die man auch um die Hälfte hätte kürzen können, müssen – eine Stunde hätte vollkommen gereicht. Zuletzt wird das Licht fahl, es dunkelt ein, der bunt-leuchtende Mondrian-Catwalk verliert seine Farbenpracht, die letzte noch vorhandene Energie schleicht sich davon. Einer der schönsten Teile des Abends: Teil 5 – The Bows/Die Verbeugung. Das ist ehrlich, geradlinig, wohltuend unaufgeregt, still und leise. Und man ist froh, hat man es hinter sich.

Zuletzt besuchte Schauspielproduktionen:

Orpheus – Schauspielhaus Zürich/Schiffbau 22.09.2021

Lieder ohne Worte – Theaterhaus Gessnerallee 20.06.2021

Das Weinen (Das Wähnen) – Schauspielhaus Zürich 18.10.2020

Der Mensch erscheint im Holozän – Schauspielhaus Zürich 01.03.2020

Orest in Mossul – Schauspielhaus Zürich 05.10.2019

10 x 10 Abschlussfest Intendanz Barbara Frey – Schauspielhaus Zürich 29.06.2019

„Die grosse Gereiztheit“ – Premiere/Schiffbau 15.05.2019

„Totart Tatort“ – Schauspielhaus Zürich 28.04.2019

„Dorian Gray“ – Theater Winterthur (Gastspiel Burgtheater Wien) 29.03.2019

5 Kommentare

  1. uke

    Lieber Arcimboldi: Google sei dank habe ich doch noch wenigstens EINE brauchbare Kritik zu dem grossen Gähnen des öden Monkey und seinem Büsi (Meow) gefunden: Danke dir! Ich verbeuge mich vor deiner „Review“ so, wie das die Schauspielerinnen und Tänzer am mühselig erdauerten Schluss des Stückes endlich tun und man sich dann fragt, warum man nicht schon vorher rausgegangen ist. A propos: Auch kritische englischsprachige Kritiken habe ich keine Gefunden.

    Für mich absolut unverständlich: Warum sind die Kulturjournies unserer Blätter alle so begeistert vom diesem tranigen Tanztheater? Weil die Aussagen des Stückes so furchtbar „woke“ sein wollen? Weil LGBTQ+ so furchtbar „in“ ist? Und/oder weil das ganze so furchtbar „politisch korrekt“ ist? Sag mal, geliebtes Publikum: Bist du wirklich so dumm?

    Jedenfalls habe ich gerde deine mir bisher unbekannte Kolumne abonniert 🤗

    urs.kern@kernart.ch

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    1. arcimboldis_world

      Lieber Urs, vielen lieben Dank für Deinen netten Kommentar, ist ja schon etwas her, dass ich das gesehen habe. Warst Du jetzt in einer der Vorstellungen der Wiederaufnahme? Ich war jahrelang, seit ich hier in Zürich bin, regelmässiger Besucher des Schauspielhauses, seit Stemann und von Blomberg allerdings nur ein paar mal und es gab nichts, was mich wirklich überzeugt hat, bin froh, verlassen diese beiden arroganten Typen nun Zürich wieder nach ihrer letzten Spielzeit 23/24. Wie habe ich das SHZ vermisst. Ich bin auch der Meinung, dass das SHZ kein Tanztheater(-ensemble) braucht, das können andere weitaus besser. Eine Anmerkung habe ich, LGBTQ+ ist nicht „in“, da ist sehr wichtig, diese Sichtbarkeit braucht die Community dringend, die Diskriminierung ist noch lange nicht vorbei, auch wenn sich viele Dinge verbessert haben. Und an der „Wokeness“ liegt es ebenfalls nicht, denn auch das ist sehr wichtig, das war auch nicht der Grund warum die Zuschauer fernbleiben – ich ebenso. Die Stücke sind einfach alle gleich und erzählen keine Geschichte mehr, alles ist nur „nach“ einem Autor, fast so, als hätte man Angst vor den Texten, es ist alles nur noch für die eigene Blase, für die ZHdK etc. produziert, aber nicht mehr für die Stadt, mit diesem Vorsatz sind sie ja eigentlich angetreten. Und so inklusiv, wie sie tönen, sind sie auch nicht. Inklusion geht anders. Ich weiss das, ich arbeite in diesem Bereich. In diesem Sinne, nochmals danke für Deinen Kommentar und es freut mich, dass Du meinen Blog abonniert hast. Ich grüsse Dich herzlichst. Adrian

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