Amor Towles – Ein Gentleman in Moskau.

Was zunächst etwas zähflüssig daherkommt, entpuppt sich nach einigen Seiten des Durchhaltens als wunderbar epische und sehr unterhaltsame Meister-Erzählung. Ein Roman, der den Leser mitnimmt in ein altes Russland im Umbruch der Revolution – ganz in der Tradition grosser russischer Autoren geschrieben, allerdings von einem Amerikaner: Amor Towles…

„A Gentleman in Moscow“ ist Towles zweiter Roman und stand nach seinem Erscheinen 57 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“, das ist nicht verwunderlich, denn die Geschichte bietet einen realitätsnahen Plot, der mich als Leser stellenweise an Pasternaks Epos „Doktor Schiwago“ erinnert hat. Nach der bereits erwähnten etwas zähen Erzählweise entwickelt er jedoch eine grosse Sogwirkung, der man sich nicht mehr entziehen kann.

Moskau, 1922. Der genussfreudige Lebemann Graf Rostov wird verhaftet und zu lebenslangem Hausarrest verurteilt, ausgerechnet im Hotel Metropol, dem ersten Haus am Platz. Er muss alle bisher genossenen Privilegien aufgeben und eine Arbeit als Hilfskellner annehmen. Rostov mit seinen 30 Jahren ist ein äußerst liebenswürdiger, immer optimistischer Gentleman. Trotz seiner eingeschränkten Umstände lebt er ganz seine Überzeugung, dass selbst kleine gute Taten einer chaotischen Welt Sinn verleihen. Aber ihm bleibt nur der Blick aus dem Fenster, während draußen Russland stürmische Dekaden durchlebt. Seine Stunde kommt, als eine alte Freundin ihm ihre kleine Tochter anvertraut. Das Kind ändert Rostovs Leben von Grund auf. Für das Mädchen und sein Leben wächst der Graf über sich hinaus. (Ullstein Verlag)

Plastisch und liebevoll gestaltete Figuren und die glaubhafte Geschichte in diesem unglaublichen Hotelsetting machen den Roman zu einem grossen Lesevergnügen. Das Hotel ist wohl immer noch eines der ersten am Platz in Moskau und bietet – wie soll es auch anders sein – entsprechende Wochenendpackages zum Roman an, bei denen selbst die zahlreichen Cocktails, die von den Protagonisten in der Hotelbar konsumiert werden, enthalten sind. Das Metropol war damals wie heute Abstiegsort für internationale Politiker, Stars und Sternchen und neben der persönlichen bewegenden (fiktiven, aber sehr realitätsnahen) Geschichte des Grafen erfährt man viel über das Leben in einem Hotel. Ein Hotel als Roman-Setting ist gewiss kein Novum, bietet aber auch hier den idealen Rahmen für einen eigenen Mikrokosmos. Mir persönlich hat der Roman ausserordentlich gut gefallen, die Geschichte hat mich sehr bewegt. Ein Pageturner sozusagen! Kenneth Branagh hat die Filmrechte des Romans erworben und wird in der geplanten Serie auch die Hauptrolle spielen.

„Ein Gentleman in Moskau“ von Amor Towles, Ullstein Verlag, 2017, ISBN: 9783548290720 (Werbung) 

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