Colson Whitehead – Die Nickel Boys.

Der neue Roman von Colson Whithead kommt zunächst – auch aufgrund des Titels – eher harmlos daher, entpuppt sich aber ziemlich rasch als politischer Roman mit immer noch hoher Brisanz. Das ist keine Fiktion, das war harte Realität und erschüttert in seiner klaren Deutlichkeit, man zweifelt keinen Moment am Wahrheitsgehalt derartiger Vorkommnisse in den USA der 60er Jahre…

Im Grunde genommen ist es eine thematische Fortführung von Whiteheads grossartigem letzten Roman „Underground Railroad“ – für den er 2017 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde. Allerdings ohne einen Hauch phantasievoller Erzählweise, stattdessen fast schon dokumentarisch werden die leidvollen Erlebnisse des schwarzen Jungen Elwoods erzählt.

Florida, Anfang der sechziger Jahre. Der sechzehnjährige Elwood lebt mit seiner Großmutter im schwarzen Ghetto von Tallahassee und ist ein Bewunderer Martin Luther Kings. Als er einen Platz am College bekommt, scheint sein Traum von gesellschaftlicher Veränderung in Erfüllung zu gehen. Doch durch einen Zufall gerät er in ein gestohlenes Auto und wird ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort werden die Jungen missbraucht, gepeinigt und ausgenutzt. Erneut bringt Whitehead den tief verwurzelten Rassismus und das nicht enden wollende Trauma der amerikanischen Geschichte zutage. Sein neuer Roman, der auf einer wahren Geschichte beruht, ist ein Schrei gegen die Ungerechtigkeit. (Hanser Verlag)

Der Roman, der auf Tatsachenberichte und Polizeirapporte bzw. Justizberichte basiert, schildert in drastischen Worten, die unverblümt normal daherkommenden Geschehnisse in einer Besserungsanstalt in Florida. Die sich entfaltende Sogwirkung hat teilweise etwas von einem Abenteuerroman, umso schlimmer die Tatsache, dass sich dies alles genau so abspielt haben könnte (und wohl auch hat). Stellenweise hat man das Gefühl, das Buch weglegen zu müssen, so schrecklich vorhersehbar ist die Tatsache, dass dies kein gutes Ende nehmen kann. Man leidet mit den Jungs und weiss zugleich, dass es keinen Ausweg gibt. Der Sadismus der Aufseher ist unerträglich. Es ist ein historischer Roman, eine Dokumentation, ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft, heute leider immer noch so aktuell wie nie. Es ist aber auch tolle Literatur in seiner umemotionalen Erzählweise, die lange bewegt und nachhallt.

„Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead, 2019, Hanser Verlag, ISBN 9783446262768 (Werbung)

Zuletzt gelesen:

Simone Lappert – Der Sprung

Lars Lenth – Schräge Vögel singen nicht

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