„Der Sprayer von Zürich“ – unter diesem Namen kennt ihn wohl jeder: Den Künstler Harald Naegeli. In den 1970er Jahren wurde er weltweit bekannt, verhaftet, verurteilt, inhaftiert – aber Naegeli sprayt noch immer. Und er wird immer noch kontrovers diskutiert – gehasst von bünzligen Stadtzürchern und ihrem Wunsch nach einer sauberen Stadt, hochgelobt von (einigen) Politikern und Künstlern, auf jeden Fall ist er Wegbereiter für die internationale Anerkennung von Street-Art…
2020 kehrte Naegeli nach Zürich zurück, nachdem er jahrelang im Düsseldorfer „Exil“ lebte und arbeitete. Im vorliegenden Band ist eine Auswahl an Naegelis Arbeiten und seine Wolkenpost zu sehen, zu bestaunen – eine Dokumentation seines Schaffens, sehr humorvoll, politisch, poetisch und voller Kraft und lebendiger Energie. Aber eben nicht zu konservieren und für die Nachwelt von unserer Gesellschaft nicht erhaltenswert. Eine Grossteil seiner Werke ist verschwunden, gesäubert, ausradiert. Es hat lange gedauert, bis die „saubere“ Schweiz sich mit seiner Kunst arrangierte und erkannte, dass er ein grosser Wegbereiter war und ist, sowohl in der Street-Art, als auch als im Protest gegen die Urbanisierung. Naegeli versteht sich selbst als Zeichner, der eben nicht nur auf Papier arbeitet, sondern Wände, Mauern, städtische Oberflächen als Träger seiner Kunstwerke nutzt.
Als »Harry Wolke« schreibt Harald Naegeli seit 2013 in unregelmäßigen Abständen an die »Freunde der Wolke«. In seinen rebellischen und philosophischen Nachrichten erzählt er über seine neuesten Graffiti und Zeichnungen, aber auch über Begegnungen mit Mensch und Tier, über die Lektüre, die ihn inspiriert, über seinen unzerstörbaren Glauben an die Utopie und seine Sicht auf die Kunst – nicht nur im öffentlichen Raum. Zeilen voll Absurdität, Nachdenklichkeit und Zuneigung, die abgerundet werden von Fotos seiner Arbeiten: Frauen und Flamingos, Blitze und Fische, Augen und Wanzen – das Universum eines einmaligen Künstlers. (Diogenes Verlag)
Zuletzt war der mittlerweile über 80jährige Harald Naegeli in den Medien, als er seinen Spray-Auftrag „Totentanz“ im Zürcher Grossmünster abgebrochen hat, weil der ihm zugesagte Platz nicht ausreichend war, die Stadtverwaltung jedoch unnachgiebig und unflexibel reagierte – dieses Auftragswerk bleibt also unvollendet. Naegeli war immer konsequent und bis heute nur seiner Kunst verpflichtet, niemandem sonst. Auf dem Rücktitel dieses wirklich schönen Kunstbandes (Gestaltung: Philipp Keel) steht ein Zitat von Harald Naegeli: „Die ewige Aufgabe aller Künstler ist die Aufklärung: nämlich dass es sinnvoll und menschenwürdig ist, mit Flügeln an den Füssen durch Wälder, Wiesen und Wolken zu fliegen“. Das bringt sein Werk auf den Punkt. Schöner könnte man es nicht sagen…
„Wolkenpost“ von Harald Naegeli, 2021, Diogenes/Steidl Verlag, ISBN: 978-3-257-02176-9 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
Zuletzt besuchte Museen und Ausstellungen:
Bündner Kunstmuseum – Chur
Wild Thing/Modeszene Schweiz – Museum für Gestaltung Zürich
Kiki Smith „HEARING YOU WITH MY EYES“ – MCBA Lausanne
Kunstmuseum und Kunsthalle Ziegelhütte – Appenzell
Edward Hopper – Fondation Beyeler Riehen
Parkin Not Vital – Sent/Graubünden
Otto Piene / Brigitte Kowanz – Haus Konstruktiv Zürich
Kunstmuseum Thurgau/Ittinger Museum – Kartause Ittingen
Gilbert & George – THE GREAT EXHIBITION (1971-2016) – Kunsthalle/LUMA Westbau Zürich
Olafur Eliasson: «Symbiotic Seeing» – Kunsthaus Zürich