Nijinski – Ballett Zürich 17.03.2019

Wenn man die Bewegungssprache von Marco Goecke kennt, weiss man auch, dass er der richtige Choreograf ist, um einen Abend über den grossen Tänzer Vaslav Nijinski zu kreieren. Seine typisch aufgeregten flatterhaften, ja fast schon nervösen, Choreografien passen hervorragend, um dieses tragische Leben zu illustrieren…

MARCO GOECKE ist zur Zeit wohl einer der gefragtesten deutschen Choreografen – zu Recht, seine bisher in Zürich zu sehenden Arbeiten „Deer Vision“ (2014) und „Petruschka“ (2016) hatten bereits einen starken Eindruck hinterlassen und machten unbedingt Lust auf mehr. Das abendfüllende Stück „Nijinski“ hatte seine Premiere bereits 2016 mit Gauthier-Dance im Tanzhaus Stuttgart und wurde für das Ballett Zürich überarbeitet. Neu ist auch, dass die Musiken (Chopins Klavierkonzerte Nr. 1 e-Moll und Nr. 2 f- Moll sowie Debussys „Prelude à l’apres-midi d’un faune“) nun live aus dem Orchestergraben kommen und nicht aus der Konserve, das ist sicherlich ein emotionaler Gewinn. ADRIAN OETIKER am Klavier und PAVEL BALEFF am Pult sind mit ihrer musikalischen Intensität nahe am Bühnengeschehen, treibend, aufreibend, aufgeregt, finden keine Ruhe. Ebenso ist der hervorragende Solist ESTEBAN BERLANGA ein suchender, ein unruhiger, ein getriebener Nijinski, dessen aktive Tanzkarriere letztendlich nur über einen Zeitraum von 10 Jahren reichte. Das ist sehr beeindruckend zu sehen. Alle wollen etwas von ihm, nie kann er Ruhe finden, bis bei ihm 1919 eine schwere Schizophrenie diagnostiziert wird, in der er etliche Jahre seines Lebens verharrt und 1950 ca. 60 jährig (je nach Quellenangabe) in London stirbt. Einzig in den letzten 5 Lebensjahren lösten sich aufgrund einer Begegnung mit Soldaten seine Blockaden, so dass er nach gut 25 Jahren auch wieder frei sprechen konnte. Goeckes Ballett beleuchtet nicht nur die Biographie Nijinskis, sondern zielt auf grundlegende Fragen, wie den Wert der Kunst und den Preis, der von Kreativen dafür lebenslang abverlangt wird. Es ist also auch ein sehr persönliches Stück des Choreografen, der sich diesen Fragen in seiner täglichen Arbeit ebenfalls unterwerfen muss. Das Leben von Vaslav Nijinski bietet zudem einiges an zu erzählendem Stoff, angefangen von seiner ehrgeizigen Familie (in der sowohl Vater, Mutter, als auch Schwester Tänzer*innen waren), über den eifersüchtigen Lover und Impresario Sergej Djiaghilew, bis hin zur Heirat mit seiner Kollegin Romola de Pulszky – alles hochtourig und immer energiegeladen in den Bewegungen, es gibt keinen Stillstand in der Bewegungssprache Goeckes mit den für ihn typischen schnell-flatternden Händen und kreisförmig-rotierenden Armen. Was mich häufig bei Tanzproduktionen stört, fand ich bei „Nijinski“ grossartig – laut artikulierte Worte, Schreie und Geräusche der Tänzer sowie die aus der dunklen Hinterbühne von MARK GEILINGS gesprochenen Texte. Dies fügt – neben dem grossartigen Licht von UDO HABERLAND – der Produktion eine weitere Dimension hinzu. Nach 90 Minuten ist dann auch nicht nur das Ensemble erschöpft von diesem wirklich spannenden, aber auch aufreibenden Abend. Grossartig neben all den anderen hervorragend besetzten Tänzer*innen des Ballett Zürich und Junior Ballett bleiben vor allem WILLIAM MOORE als Djiaghilew, KATJA WÜNSCHE (die Muse Terpsichore), IRMINA KOPACZYNSKA (Nijinskis Mutter) und MÉLANIE BOREL (Romola) in bleibender Erinnerung. Das Ballett Zürich hat bisher eine sehr vielseitige und beeindruckende Saison abgeliefert und ist mittlerweile zu einer hochkarätigen Kompanie gereift: nach einer grossartig interpretierten „Winterreise“ und dem zauberhaften „Nussknacker und Mausekönig“ (WA) von Christian Spuck sowie der sehr sehenswerten Hommage an Jiří Kylián mit dem viergeteilten Abend „Bella Figura“ und dem tollen Doppelabend von Sol León/Paul Lightfood und Crystal Pite „Emergence“ (WA), nun also noch Marco Goeckes spannende Künstlerbiografie von Vaslav Nijinski….

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