Tristan und Isolde – Theater Bern 27.06.2019

„Kunst ist die totalste Freiheit“ – so steht es am Ende bei Isoldes Liebestod mit noch frischer Farbe an der Bühnenrückwand und zitiert damit Jonathan Meese, bevor nach gut fünf Stunden Vorstellungsdauer ein irgendwie interessanter, aber auch sperriger Opernabend zu Ende geht und der Vorhang sich senkt…

Die altbekannte Geschichte von Tristan und Isolde wird nicht erzählt, Regisseur LUDGER ENGELS hat sich dafür offenbar nicht interessiert. In seiner Inszenierung widmet er sich ganz und gar der Kunst, seiner Entstehung und was Kunst bedeuten kann. Eine grössere Herausforderung und Irritation für viele Opernbesucher ist das schon, aber auch eine interessante Betrachtung dieses Werkes auf einer metaphysischen Ebene! Und es passt zum Manifest Meeses, indem er auch sagt: „Kunst steht über allen Dingen“. Lässt man sich darauf ein, erlebt man ein paar interessante Momente, ist man dazu nicht bereit, fragt man sich wohl die ganze Vorstellung über was das soll. Während der offenen Ouvertüre wählt der Künstler (ANDRIES CLOETE mit den Partien des Hirten und Stimme eines jungen Seemannes) aus 3 Isolden (Vergangenheit, Zukunft = Statisterie) die Isolde der Gegenwart CATHERINE FOSTER aus und führt sie in einen etwas beklemmenden Bühnenraum, bringt sie dort mit Brangäne und dem Gegenpol Tristan/Kurwenal zusammen, die Entstehung des Kunstwerks beginnt, wohl zunächst in Ideen und Gedanken, dann aber bis zur fertigen Rauminstallation am Ende des 3. Aufzugs. Keine Handlungen scheinen einen Sinn zu ergeben, alles ist eine einzige grosse Performance in verschiedenen Raumkonstellationen. Eine Deutung wird nicht wirklich zugelassen bzw. dem Zuschauer übertragen. Sehr schöner Moment:  die Beiden jeweils am anderen Tischende bei der Einnahme des Liebestranks und der anschliessend gelösten, ja euphorischen und irgendwie wissenden Stimmung. Im 2. Aufzug und dem gewaltigen Sog des unendlichen musikalischen Sehnsuchts-Strudel von „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ verlassen beide ihre Identitäten und sind fernab von dieser Welt (in leider stark figurbetonten glänzend-silbernen Pailletten-Trainingsanzügen mit Kapuze…). Der 3. Aufzug dann ein Gesamtkunstwerk in Vollendung analog Wagners komplettem Schaffen (Bühne: VOLKER THIELE), Tristan stirbt nicht, vielmehr erlebt er eine sehr grosse kreative Schaffensphase – er ist frei. Mit CATHERINE FOSTER (Isolde) und DANIEL FRANK (Tristan) hat man für diese Produktion zwei äusserst starke Gäste geholt, neben denen das Hausensemble nur verblassen kann. Einzige Ausnahme die wunderbare Brangäne von CLAUDE EICHENBERGER mit ihrem äusserst kraftvoll-tönendem Mezzo  Ihre aus dem Off gesungenen Passagen im 2. Aufzug („habet acht“) waren wirklich engelsgleich und umwerfend ätherisch. Die Isolde von Catherine Foster, die ich im Bayreuther Castorf-Ring bereits sensationell fand, füllt das Haus mit ihrer starken stimmlichen und darstellerischen Präsenz, Daniel Franks Tristan (der in Kostüm und Maske auch aussieht wie Meese) ist leider zu Beginn noch etwas schwach, steigert sich im 2. Aufzug, bevor er dann im 3. Akt seiner Isolde ebenbürtig ist und absolut überzeugt. Solide der Kurwenal von ROBIN ADAMS (ebenfalls Gast), schwach dagegen der König Marke von KAI WEGENER und TODD BOYCE als Melot. Aus dem Graben tönt das Berner Symphonie-Orchester unter der Leitung von KEVIN JOHN EDUSEI erstaunlich wohlklingend mit zügigen Tempi und hervorragenden Solisten (z.B. bei der Schalmeienweise im 3. Aufzug, bei der die Solistin – leider auf dem Besetzungszettel nicht erwähnt! – in der Szene platziert spielt. Insgesamt gesehen eine ungewöhnliche und nicht uninteressante Inszenierung, aber alleine wegen Catherine Foster hat sich der Besuch gelohnt. Brava!

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