Zürichs neuer „Ring des Nibelungen“ ist komplett. Mit der Premiere von „Götterdämmerung“ ist der Zyklus von ANDREAS HOMOKI und GIANANDREA NOSEDA nun abgeschlossen, im Mai 2024 zeigt die Oper Zürich dann zwei komplette Zyklen. Der neue Ring ist unaufgeregt, absolut stimmig, am Libretto entlang erzählt, sehr sehenswert und bis in die kleinsten Rollen grossartig besetzt. Die „Götterdämmerung“ ist ein Triumph für die beiden Rollendebüts von CAMILLA NYLUND als Brünnhilde und KLAUS FLORIAN VOGT als Siegfried…
Im Vergleich zu „Das Rheingold„, „Die Walküre“ und „Siegfried“ erscheint mir „Götterdämmerung“ immer etwas langweilig, definitiv zu lang und ausschweifend – egal welche noch so spannende Inszenierung ich sehe und wer singt. Sie hat Längen im ersten und zweiten Aufzug und fasziniert hauptsächlich durch die grossartigen Zwischenmusiken und das gross angelegte Finale. Was für ein bewegender Genuss, Siegfrieds Trauermarsch bei geschlossenem Vorhang ganz ohne Bilderflut zu hören, was für eine emotionale Wucht, die aus dem Graben bis in den 2. Rang zu spüren ist. Regisseur Andreas Homoki hat bei seiner Arbeit am Ring alles richtig gemacht. Auch zum Abschluss der Tetralogie sehen wir die – mittlerweile abgenutzt schmutzigen – Zimmerfluchten, die sich gut bespielen lassen und permanent neue Bilder, Zitate und Querverweise aus den vorangegangen Werken ermöglichen. Und wie bereits bei den vorhergehenden Werken gibt es auch in der Götterdämmerung viele kleine wunderbare Momente, etwa die inszenierte finale Ringübergabe von Siegfried an Brünnhilde oder gleich zu Beginn das Vorspiel mit den Nornen. Wohltuend, wie der Regisseur auch in der „Götterdämmerung“ auf kreative Deutungen verzichtet und stringent die Geschichte erzählt, vorantreibt, zielstrebig dem Ende entgegen inszeniert. Gianandrea Noseda und die PHILHARMONIA ZÜRICH sind eine Wucht! Die lieblich-süsslichen Klänge Siegfrieds prallen gleich mehrfach auf das dunkel-düstere von Hagens Welt, grossartig akzentuiert, die Dynamik immer sängerfreundlich und doch mit der nötigen Wucht, die diese Partitur vorgibt. Die Hörner und diverse Soli sind in ihren Einsätzen präzise und wohlklingend, wie das ganze Orchester einen sinnvollen, lustvollen Wagner musiziert – die Bravi-Rufe beim Applaus für Noseda und das Orchester sind absolut wohlverdient. Seit der „Walküre“ überzeugt Camilla Nylund als Brünnhilde, so feinfühlig und gleichzeitig kraftstrotzend bewältigt sie fast mühelos diese Partie. Ihre Brünnhilde ist sehr differenziert, sie zeigt alles – von der innig Liebenden bis hin zur Wütenden, Betrogenen – dabei klingt ihre Stimme bis zum Schluss unangestrengt und kraftvoll mit wunderbar warmen Tönen. SARAH FEREDE überzeugt als Waltraute, ihre Erzählung ist einer der grossen Momente des Abends. Musikalisch top, aber seltsamerweise irgendwie eindimensional ist der Siegfried Klaus Florian Vogts, der ebenfalls in dieser Rolle debütiert, gnadenlos gut im „Siegfried“, hier aber – warum auch immer – ist keine Entwicklung seiner Figur zu sehen, man hat das Gefühl, er ist immer noch der etwas einfältige tapsige blonde Held, schade, nur kurz am Schluss wirkt er plötzlich erwachsen und gereift, hier ist noch viel Potential nach oben. DAVID LEIGHs Hagen ist dämonisch, düster, sein Bass profund und wohlklingend dunkel – leider häufig derartig textunverständlich in seiner Diktion, dass es schon ärgerlich ist, hier wünscht man sich doch wirklich das Format eines Matti Salminens zurück. Sehr viel überzeugender ist erneut CHRISTOPHER PURVES als Alberich. Herrliche Charakterstudien bei den Gibichungen: Gunther (grossartig: DANIEL SCHMUTZHARD) ist ein verdruckstes verklemmt-verkorkstes Fähnchen im Wind, seine Schwester Gutrune (LAUREN FAGAN) die dominierende Figur des Geschwisterpaares, beide im Jagd-Outfit mit rotem Samtjäckchen (Ausstattung: CHRISTIAN SCHMIDT), hervorstechend zwischen all den düsteren Gestalten in der Gibichungenhalle. Überzeugend und wieder herrlich quirlig die Rheintöchter ULIANA ALEXYUK (Woglinde), NIAMH O’SULLIVAN (Wellgunde) und SIENA LICHT MILLER (Floßhilde). Die Nornen FREYA APFFELSTAEDT (erste Norn), LENA SUTOR-WERNICH (zweite Norn) und GISELLE ALLEN (dritte Norn) komplettieren die hervorragende Besetzung. Etwas nervig sind die übertrieben ausgespielten, teilweise pathetischen Gesten der Chorherren – Hagens düstere Gothic-Klone – musikalisch sind sie jedoch auf den Punkt. Grossartig das Finale, wir sehen Wotan, einsam, verlassen, zusammengesunken, wie er dem Weltenbrand zusieht, seine gescheiterten Pläne für ein neues Zeitalter, seine neu erschaffene Götterburg geht in Flammen auf, er sieht dem eigenen Ende zu. Für uns Zuschauer bleibt zuletzt alles offen und das ist auch gut so, Homoki sucht (dankenswerterweise) kein grosses Bild für die letzen Momente, vertraut voll und ganz der Musik, alles endet, wie es begann, die nun leeren Zimmerfluchten ermöglichen einen Neuanfang…
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
La Regenta – Matadero Madrid 25.10.2023
La Rondine – Oper Zürich 01.10.2023
Turandot – Oper Zürich Premiere 18.06.2023
Lessons in Love and Violence – Oper Zürich 11.06.2023
Intolleranza 1960 – Theater Basel 30.05.2023
Serse – Theater Winterthur 11.05.2023
Roméo et Juliette – Oper Zürich Premiere 10.04.2023
Nixon in China – Opéra National de Paris 01.04.2023
Siegfried – Oper Zürich 09.03.2023
Roberto Devereux – Oper Zürich 22.02.2023
Die Walküre – Bühnen Bern 19.02.2023
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