Die Csárdásfürstin – Oper Zürich 01.04.2024

Es ist lange her, dass ich an der Oper Zürich eine derart schlechte Produktion gesehen habe, wie JAN PHILIPP GLOGERs Inszenierung von Emmerich Kálmán Operette „Die Csárdásfürstin“. Ein interessanter Regieansatz, der komplett in die Hose geht, dazu eine Besetzung die grossenteils enttäuscht, man möchte mehrfach laut dazwischenrufen oder einfach aufstehen und gehen. Einzig das fulminant spritzige und überaus temporeiche Dirigat von LORENZO VIOTTI begeistert von der ersten bis zur letzten Note und lässt mich sitzen bleiben…

Die Ouvertüre mit ziemlich flotten Tempi Viottis sind vielsprechend, man erwartet eine temporeiche und zeitgemässe Inszenierung ohne viel Csárdás-Kitsch und Folklore. Glogers Regie-Konzept der Verortung auf einer Yacht Superreicher, die um die Welt schippern, während um sie herum die Welt zugrunde geht, ist im Grunde eine sehr spannende und interessante Idee, zumal das Werk zur Zeit der heraufziehenden Katastrophe des 1. Weltkriegs entstand. Die ganze Welt befand sich im Taumel, steuerte jedoch unweigerlich auf den Krieg zu. Auf Glogers Yacht (Bühnenbild: FRANZISKA BORNKAMM) wird gefeiert, getanzt, gesungen und sämtliche Probleme mit Champagner weggetrunken – noch im Finale singt man «Mag die ganze Welt versinken, hab ich dich!». Soweit so gut. Doch wenn Gloger Flüchtlingsboote vorbeiziehen oder ein Boot mit Thai-Frauen andocken lässt, die nicht einmal mit Geld, sondern mit Plüschtieren für ihre Liebesdienste bezahlt werden, ist dies schlichtweg geschmacklos, unnötig und dermassen ärgerlich, dass man laut buhen oder einfach nur kotzen möchte. Natürlich werden auch Statements wie „Nein heisst Nein“ missbraucht zur Erheiterung des Publikums, am allerschlimmsten jedoch sind die Hochzeitsfeierlichkeiten auf einer fiktiven Südseeinsel mit Eingeborenen in folkloristisch anmutenden Kostümen, fehlt nur noch Blackfacing. Ich schäme mich in Grund und Boden, ich kann das nichts sehen. Mir wird fast schlecht, ich rege mich furchtbar auf. Die danach folgende Verschmutzung der Meere, der Plastikmüll, die paarweisen Tiere, die ihre Arche Noah suchen (müssen) kann ich nur noch stoisch zur Kenntnis nehmen. Wenn man zuletzt aus der Ferne das Ende der Erde bestaunt – man befindet sich gemeinsam mit Aliens auf dem Mars – lässt mich das fast schmunzeln. Naja, wenigstens ist das konsequent. Meine Laune ist trotz Walzermusiken am Tiefpunkt angelangt. Ich finde diese Inszenierung eine Zumutung, nicht, weil Gloger sie nicht historisch zeigt (ich bin der Letzte, der sowas sehen will), sondern weil er mit einer dermassen plakativen Haudrauf-Methode sämtliche wirklich wichtigen Themen in dieser grauenvollen Inszenierung weichspült und damit fast schon ins Lächerliche zieht. Hier hätte die Intendanz eindeutig die Reissleine ziehen müssen, war aber wohl zur Entstehungszeit dieser Inszenierung mit der Covid-Pandemie anderweitig beschäftigt. Da die Produktion unter Pandemie-Bedingungen entstand, singt der Chor aus dem Off, insgesamt klingt die ganze Produktion tontechnisch verstärkt, was der Akustik nicht besonders hilft. ANNETTE DASCH, die in der besuchten Vorstellung offensichtliche Intonationsschwierigkeiten hat und als Sylva Varescu überfordert ist und masslos enttäuscht ist grossenteils fast nicht zu verstehen, PAVOL BRESLIK – den ich sehr schätze und immer wieder gerne sehe und höre – ist ein ziemlich langweiliger Edwin, eindimensional und in dieser Produktion nicht auf dem von ihm gewohnten Niveau. NATHAN HALLER als Boni, MARTIN ZYSSET als Feri mit schweizerdeutschem Akzent und lokalem Bezug und JÜRGEN APPEL als Kiss/Fürst ergänzen das Ensemble. Einzig REBECA OLVERA als Stasi ist wunderbar und man wünscht sich, dass sie etwas mehr zu singen hätte in dieser Produktion. Das wäre ein Lichtblick. Denn leider sind auch die Choreographien von MELISSA KING absolut langweilig und wenig hilfreich, dieser trögen Produktion etwas Schmiss zu geben. Es tanzen und spielen KIMBERLEY BOLEN, LIVIANA DEGEN, NOA JOANNA RYFF, MAJA XHEMAILI-LUTHIGER, STEFAN SCHMITZ, STEPHAN BISCHOF, PHILIP RANSON, GIANMARCO ROSTETTER als Schiffscrew, Prostituierte, Folklore-Tänzer:innen, Tiere, Aliens. Was für eine enttäuschende Vorstellung, was für eine peinliche Produktion. Ich kann mich nicht beruhigen. Es liegt nicht am Genre – Operette kann ganz wunderbar sein, die Opéra de Lausanne beweist das regelmässig – es liegt einfach an diesem Gedanken, dieser Idee des Regisseurs, mehr hineindeuten zu wollen, als letztendlich vorhanden ist. Es fehlt die Leichtigkeit, es fehlt das Gespür. Das ist ärgerlich und macht nicht wirklich Lust, nach der ebenfalls eher langweiligen Inszenierung von Léhars „Die lustige Witwe“ von Barrie Kosky (der das eigentlich kann) an der Oper Zürich nochmals eine Operette zu sehen. Bald folgt die Wiederaufnahme von Lehárs „Land des Lächelns“. Hatte ich geplant zu sehen, ich kann das allerdings erst entscheiden, wenn ich dieses Csárdásfürstin-Desaster verdaut habe. Schade. Schade. Schade. Vergeudete Zeit.

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

504: Amerika – Oper Zürich 09.03.2024

503: Ernani – Theater St. Gallen 03.03.2024

502: Die lustige Witwe – Oper Zürich Premiere 11.02.2024

501: Cosi fan tutte – Oper Zürich 28.01.2024

500: Orphée aux Enfer – Opéra de Lausanne 31.12.2023

Platée – Oper Zürich 26.12.2023

Lili Elbe – Theater St. Gallen 04.12.2023

Götterdämmerung – Oper Zürich 09.11.2023

La Regenta – Matadero Madrid 25.10.2023

La Rondine – Oper Zürich 01.10.2023

Turandot – Oper Zürich Premiere 18.06.2023

Lessons in Love and Violence – Oper Zürich 11.06.2023

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5 Kommentare

    1. arcimboldis_world

      Hello – nein, die soll nicht bewusst provozieren, die ist einfach misslungen. So schade. Aber das kommt vor. Und so, wie ich begeistert über eine Produktion schreibe, die mir total gut gefällt, so emotional fällt eben auch ein Blogpost aus, wenn es überhaupt nicht so ist. In diesem Sinne, herzlichst aus Zürich. A.

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