Ernani – Theater St. Gallen 03.03.2024

Es ist ein eher selten gespieltes Frühwerk Giuseppe Verdis und war die erste Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave, nun ist es in einer sehr interessant konzipierten Version der Regisseurin BARBORA HORÁKOVÁ und in einer sehr starken Besetzung am Theater St. Gallen zu erleben: „Ernani“….

Ich war zugegebenermassen eher skeptisch beim Regiekonzept Horákovás, die Oper durch eine Schauspielerin zu ergänzen, somit mehrmals zu unterbrechen und neu entstandene Texte von PETER VERHELST einzufügen, die das Innenleben, die „innere Stimme“, die Seele Ernanis verdeutlichen sollen. Es ist klar, dass es in einer derartigen Version sehr schwierig ist, die Spannung zu halten, erneut aufzubauen und fortzuführen, jedoch gelingt die Umsetzung, das Stück wirkt äusserst stringent und klar, wie von unnötigem Ballast befreit und reduziert auf das Wesentliche – in dieser doch etwas komplizierten Konstellation der vier Protagonisten Ernani, Elvira, Silva und Don Carlos. Auf die grossartige Musik dieses frühen Verdi muss man nicht verzichten, dafür sorgt ein starkes Ensemble, ein äusserst differenziert spielendes Orchester unter der Leitung von MODESTAS PITRENAS und ein grossartig einstudierter und präzise singender Chor (Einstudierung: FRANZ OBERMAIR), von dem sich der Zürcher Opernchor bitte gerne ein grosses Stückchen abschneiden kann. Das SINFONIEORCHESTER St. Gallen spielt das Werk feinfühlig, ja fast schon zart und verzichtet auf den häufig so überdimensionierten Verdi-Bombast, das passt wunderbar zur eher reduzierten Inszenierung mit seinen sehr eigenwilligen, hochästhetischen Projektionen (Video: TABEA ROTHHFUCHS, Licht: STEFAN BILLIGER), die dem Abend einen ganz eigenen Charakter verleihen. Die Ausstattung von EVA MARIA VAN ACKER schafft einige wunderbare Bilder, die sich einbrennen und haften bleiben, so etwa der erste Auftritt Silvas, wenn sich seine hell erleuchtete Podesterie nach vorne zwischen die beiden Kontrahenten schiebt oder das Schlussbild mit dem riesigen Herz als lebendiges Organ, das mit dem letzten Atemzug Ernanis zu schlagen aufhört. Alles dreht sich um die titelgebende Figur Ernani, grossartig mit dem jungen amerikanischen Tenor CHRISTOPHER SOKOLOWSKI besetzt, absolut bewegend in seiner tiefen Zerissenheit, mit seiner dunklen Seite, seiner Traurigkeit, musikalisch sicher und präzise mit prächtigen wohlklingenden Höhen und schön geführtem satten Timbre – was für eine Freude ihm zuzuhören, kraftvoll und klar bis zum Schluss, grossartig seine fast schon überbordende Energie. Ihm gegenüber „seine Seele“, seine innere Stimme – Wärme, Ruhe und Zuversicht versprühend – die Schauspielerin BIRGIT BRÜCKER. SYLVIA D’ERAMO, die mir bereits in „Lili Elbe“ als Gerda Wegener ganz wunderbar gefallen hat, überzeugt mich auch als Elvira, jugendlich und ungestüm, bestens bei Stimme und überaus wohlklingend in den grossen musikalischen Momenten, Arien, Ensembles, zuletzt gebrochen und verzweifelt, für sie ist Ernanis Entscheidung zum Selbstmord wohl nicht nachvollziehen. Für mich auch nicht, für niemanden heutzutage, ein sehr althergebrachter Ehrenkodex. Das irritiert. KRISTJÁN JÓANNESSON als Silva ist eine interessante, sehr prägnante Erscheinung mit kraftvollem Bass, VINCENZO NERIs Bariton (als Don Carlos) strahlt und bietet vollen Wohlklang – was für eine hervorragende Besetzung, kein Wunder gibt es zuletzt Standing Ovations für diesen wunderbaren frühen Verdi. Bravi an das gesamte Ensemble und den Chor, an das Sinfonieorchester St. Gallen unter der Leitung von Modestas Pitrenas und an die Regisseurin und ihr Team für diese eher mutige Umsetzung, die Produktion ist glaubhaft und stimmig, mitreissend und sehr berührend.

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501: Cosi fan tutte – Oper Zürich 28.01.2024

500: Orphée aux Enfer – Opéra de Lausanne 31.12.2023

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7 Kommentare

  1. FEL!X

    Eine meiner Lieblings-Verdis!
    Diese Inszenierung hätte bestimmt auch mich begeistert.
    Die Handlung? Heute liegt uns diese Art von Dramatik fern, aber sie forderte Verdi zu einer Glanzleistung heraus!

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    1. arcimboldis_world

      Felix! Hello! Schön von Dir zu hören. Ja, ich muss Dir sagen, es lohnt sich immer wieder nach St. Gallen zu fahren, da passiert gerade total viel am Haus mit der neuen Leitung und einer neuen wirklich tollen jungen Tanzkompanie und sonst auch. Bin in nächster Zeit noch ein paar mal dort…. always worth the trip! Viele Grüsse aus Zürich! A.

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