Letzte Premiere der Saison 2022/2023 an der Oper Zürich – ein Highlight: Puccinis letzte Oper „Turandot“ in der ungewöhnlichen, sehr interessanten Regie von SEBASTIAN BAUMGARTEN und musikalisch umwerfend und mit mehreren Rollendebüts: SONDRA RADVANOVSKY als Turandot, ROSA FEOLA als Liù und PIOTR BECZALA als Calaf…
Eine typische Baumgarten-Inszenierung würde ich sagen, voller Rätsel und tiefgründiger Symbolik, die man natürlich nur versteht, liest man das Programmheft oder ein Interview mit ihm zu dieser Arbeit. Bis auf seinen Bayreuther „Tannhäuser“ (den ich ganz grausam fand), ist er immer für interessante Interpretationen zu haben. So auch bei der neuen „Turandot“ an der Oper Zürich. Wohltuend jedenfalls, ist das Werk von schwülstiger China-Folkore und überbordendem Pathos befreit. Das liegt hauptsächlich auch an der Fassung die gespielt wird, man hat auf das von Franco Alfano nach Puccinis Tod vollendete Kitsch-Finale verzichtet und lässt die Oper dort enden, als Puccini starb und sein Werk endet, mit dem Tod von Liù. Meine Bedenken, man würde sich um einen Grossteil des 3. Aktes betrogen fühlen, haben sich nicht eingelöst, vielmehr erscheint einem diese Fassung genau so als absolut richtig. Und wie bei der UA, wo Arturo Toscanini seinen Taktstock beiseite legte und verkündete, dass hier des Meisters Werk ende, so erfahren wir als Zuschauer dies auch in Form von eingeblendetem Text statt einem Vorhang – ebenso erfahren wir aus Puccinis Aufzeichnungen nach dem 1. und dem 2. Aufzug die Entwicklung seiner Krebserkrankung. Das alleine macht betroffen und trägt sehr zur Authentizität dieser Aufführung bei. Ansonsten hat sich Regisseur SEBASTIAN BAUMGARTEN viel ausgedacht, recherchiert, analysiert – man sieht das Chinesische Volk als fleissige Bienchen (sicherlich gut überwacht), Turandot selbst als männermordende Bienenkönigin entspringt einer Wabe (was durchaus Sinn macht), in der Ausstattung viel zeitliche Verortung im italienischen Futurismo (ganz nett…), eine hervorragende Chorregie mit synchronen Bewegungen (Choreografie: SEBASTIAN ZUBER) und musikalisch fulminant (Einstudierung: JANKO KASTELIC) – der Star des Abends ist bei „Turandot“ sowieso immer der Chor, selbst wenn die Solist:innen zu Höchstleistungen auflaufen. Beczalas Debüt als Calaf klingt – wie zu erwarten – kraftvoll, sicher (bis auf einen kleinen Bruch am Ende des 2. Aktes, aber so what!), wohltönend, besser geht es fast nicht, stellenweise hätte er vielleicht nicht ganz so auf die Tube drücken müssen, aber das Publikum liebt das natürlich, vor allem bei den hohen Noten. Ihm als „Turandot“ gegenüber Sonja Radvanovsky (zuletzt wunderbar als „Tosca“ in Zürich zu hören), scharf akzentuiert, singt sie jedoch leicht und mühelos über das Orchester hinweg und zuguterletzt die wundervolle ROSA FEOLA als Liù, deren Rolle in dieser Fassung nochmals einen komplett anderen Stellenwert erhält, ja sozusagen aufgewertet wird. Während Feola und Radvanovsky darstellerisch ziemlich gut gearbeitet sind, wirkt Bezcalas Calaf ziemlich eindimensional, stellenweise fast schon irritierend stoisch und etwas plump. Wunderbar sind auch alle weiteren Rollen besetzt: XIAOMENG ZHANG als Ping (der mir zuletzt sehr gut in Paris in „Nixon in China“ gefallen hat), IAIN MILNE als Pang und NATHAN HALLER als Pong sind energiegeladen und wohl das seherische (Ein-)Auge, MARTIN ZYSSET tönt wohlklingend als Altoum und NICOLA ULIVIERI ist mit seiner Rolle als Timur jünger angelegt, als auch schon gesehen. Es sind die vielen Kleinigkeiten in der Personenregie Baumgartens, die toll sind und hängenbleiben, etwa wenn beim dritten Rätsel Altoum den dezenten Hinweis zur Lösung zeigt. Am Pult der PHILHARMONIA ZÜRICH steht MARC ALBRECHT und es erklingt ein kitschbefreiter, fast schon ungewöhnlich differenzierter Puccini, feinfühlig ausgelotet mit herrlich lyrischen Augenblicken, die stellenweise fast überraschend atonal klingen und dennoch muss man nicht auf üppige Puccini-Kantilenen verzichten. Was für ein Genuss und mit nur 2h15 inklusive Pause erstaunlich kurz! Dahinplätschernder Applaus für das Regie-Team (erstaunlicherweise keine vernehmbaren Buhrufe!), Chor, Solisten und Orchester werden stürmisch gefeiert. Zu Recht! Eine sehenswerte Neuproduktion, mit der für mich diese Saison endet und ich in eine lange Sommerpause starte…
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
Lessons in Love and Violence – Oper Zürich 11.06.2023
Intolleranza 1960 – Theater Basel 30.05.2023
Serse – Theater Winterthur 11.05.2023
Roméo et Juliette – Oper Zürich Premiere 10.04.2023
Nixon in China – Opéra National de Paris 01.04.2023
Siegfried – Oper Zürich 09.03.2023
Roberto Devereux – Oper Zürich 22.02.2023
Die Walküre – Bühnen Bern 19.02.2023
Eugen Onegin – Oper Zürich 16.02.2023
Der Rosenkavalier – Luzerner Theater 15.02.2023
Turandot is a favourite of mine.
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Mine as well…… interesting to hear it without the Alfano – final scene….. regards from Zurich! A.
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J’aime Turandot 🎵🎶🎵🎶🎵
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Moi aussi!!!!!!! Je trouve cette version sans la fin d’Alfano vraiment grandiose… salutations de Zurich! A.
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Diese Inszenierung von Turandot klingt ein bisschen ähnlich (jedenfalls, was die Schlussszene betrifft) zu der Inszenierung von Rosemund Gilmore, den ich 2002 in Gelsenkirchen gesehen habe.
https://operasandcycling.com/operas-and-cycling-in-gelsenkirchen/
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Rosamund Gilmore, von der hab ich schon lange nichts mehr gesehen…..
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Ich auch nicht. Früher wohnte sie hier in Frankfurt und inszenierte auch mehrfach hier. Einmal kam sie als Gast zu meinem Kurs „Frankfurt OperaTalk“ und ließ sich von uns einen ganzen Abend lang ausfragen.
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