Grossartige Musik und eine packende Inszenierung – GEORGE BENJAMINs 2018 uraufgeführte Oper „Lessons in Love and Violence“ war in einer Aufführungsserie mit 7 Vorstellungen an der Oper Zürich zu sehen…
Spätestens seit Derek Jarmans opulenten Film von 1991 über Edward II ist einem die Geschichte des glücklosen Regenten und seiner schwulen Beziehung zu Piers Gaveston vertraut (wer den Film nicht kennt – es lohnt sich, alleine schon wegen Tilda Swinton als Isabel und einer kurzen Sequenz mit Annie Lennox und ihrer wunderbaren Coverversion von „Every time we say goodbye“). Der König (in Benjamins Oper wird sein Name nicht genannt…) lebt nur noch für seine Vergnügungen und vernachlässigt seine Regentschaft, sein hungerndes Volk sowie seine Frau Isabel, die sich mit Edwards Widersacher Mortimer zusammenschliesst, der Gaveston hinrichten lässt und die Abdankung des Königs erzwingt. Als Nachfolger erbt sein Sohn die Krone, der aufgrund der Historie seine „Lektionen“ gelernt hat und vor den Augen seiner Mutter Mortimer hinrichten lässt. Literarische Vorlage dazu bildet „Edward II“ von Christopher Marlowe. Das Libretto von MARTIN CRIMP ist schlichtweg grossartig, kurze knappe Sätze, prägnante Dialoge, die permanent spürbare Bedrohlichkeit dieser Situation ist omnipräsent, die Musik Benjamins bietet dazu alles was es braucht, aufbrausendes Orchester mit wunderbaren Zwischenspielen für die (geschlossenen) Umbauten, aber auch herrlich lyrische Momente mit einer ganz eigenwilligen Zartheit. Stellenweise empfinde ich es eher als Ton-, als Lautmalerei, als feinfühlige Backgroundmusik denn als „Oper“. Und für ein zeitgenössisches Werk sind die Gesangslinien erstaunlich harmonisch komponiert. Die Besetzung dieser Zürcher Inszenierung ist ideal, sowohl darstellerisch, als auch gesanglich. LAURI VASAR überzeugt als König (und ist mir immer noch sehr gut in Erinnerung als Amfortas in Claus Guths „Parsifal“ Inszenierung, ebenfalls an der Oper Zürich). Sein Liebhaber Gaveston (BJÖRN BÜRGER) ist – mit seinem stellenweise sehr tuntigem Gehabe – für meinen Geschmack etwas zu klischeehaft gezeichnet, sein weich timbrierter Bariton klingt herrlich. Die beiden Stimmen harmonieren perfekt – was für ein schönes Paar! Als Isabel debütiert in Zürich JEANINE DE BIQUE, von Hausherr Andreas Homoki vor Beginn als indisponiert aufgrund einer Kehlkopfentzündung angekündigt, jedoch letztendlich grossartig bei Stimme, intensiv lotet sie jegliche Nuance dieser interessanten Rolle aus, eine beeindruckende Erscheinung und hoffentlich bald häufiger in Zürich zu hören. Sicherlich in Erinnerung bleibt der Tenor SUNNYBOY DLADLA als Junge, dann junger König, mit strahlender, kraftvoller Stimme, so naiv und kindlich, umso erschreckender dann die Abgebrühtheit nachdem er den Thron bestiegen hat. Der intrigante Gegenpart des Mortimer ist mit MARK MILHOFER besetzt (er war hier zuletzt in Cavallis „Eliogabalo“ zu sehen) – hasserfüllt schart er das Volk um sich, schmeichelt gleichzeitig mit süssen Worten der Königin und unterschwellig hat man immer das Gefühl, dass er latent schwul ist und selbst gerne in dieses „Lotterbett“ steigen möchte. Regisseur EVGENY TITOV hat den Mortimer interessant gezeichnet und ausgeformt, wie all die Charaktere sehr gut gearbeitet sind und in ihren Rollenprofilen überzeugen, selbst die kleineren Chargen sind prägnant und bleiben haften (ISABELLE HAILE als Zeuge1/Sängerin1/Frau1, JOSY SANTOS als Zeuge2/Sängerin2/Frau2 und ANDREW MOORE als Zeuge3/Verrückter). Titov führt uns die krassen Gegensätze und die Brutalität dieser Regentschaft deutlich vor Augen, etwa wenn eine Zeugin ihr verkohltes Kind in den Armen hält und dieser Leichnam in Einzelteile zerbröckelt, während am fein gedeckten Tisch der Junge und das Mädchen sitzen und ein wie mit Edelsteinen verziert wirkender riesiger Oktopus die dekadente Opulenz am Königshaus zeigt. Wie bei Shakespeares „Hamlet“ (3. Akt) gibt es auch hier eine Szene, in der sich alle Beteiligten ein Theaterstück über eine Tötung ansehen (hier die Tötung des Saul), die wie ein Omen über allem schwebt, ein starker Moment – ebenso die Handlese-Szenen, die auch musikalisch interessant auskomponiert sind. Glaubhaft auch das hungernde Volk (Bravi an die Statisterie des Hauses!), das erinnert stark an eine krude Mischung aus „The Living Dead“ und den Barrikaden in „Les Miserables“. Sieben Bilder, textgetreu umgesetzt, im bildstarken Setting von RUFUS DIDWISZUS mit giftgrüner Ornamentik. Das hat etwas Barockes und durch das grossartige Licht von MARTIN GEBHARDT (und Video: TIENI BURKHALTER) bietet es interessante Effekte und Optiken. Als Schlusspunkt dann noch etwas Nacktheit – das androgyne Mädchen (NINI VLATKOVIĆ in dieser stummen Rolle) entpuppt sich – wie vermutet – doch noch als biologischer Männerkörper. Das wirft zu guter Letzt noch ein paar Fragen auf, die wohl unbeantwortet bleiben, das Publikum aber offensichtlich irritieren. Why? Why not? Es ist eben nicht immer alles so, wie wir es sehen (wollen). Am Pult der PHILHARMONIA ZÜRICH steht ILAN VOLKOV, kraftvoll hört man diese vielschichtige, stellenweise interessant instrumentierte Partitur aus dem Graben, bis dann nach 90 Minuten diese durchwegs bedrohliche und emotional aufgeladene Story vorbei ist, langhaltende Ovationen, begeistertes Publikum…
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
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Serse – Theater Winterthur 11.05.2023
Roméo et Juliette – Oper Zürich Premiere 10.04.2023
Nixon in China – Opéra National de Paris 01.04.2023
Siegfried – Oper Zürich 09.03.2023
Roberto Devereux – Oper Zürich 22.02.2023
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