Sweeny Todd – Oper Zürich 21.12.2018

Ein Novum am Opernhaus Zürich – man wagt sich nach einem Operetten-Ausflug („Land des Lächelns“) an das Genre Musical und zeigt das tolle Sondheim-Stück „Sweeny Todd“. Etwas Angst hat man dann aber doch, man könnte sein alteingessenes Goldküsten-Publikum vergraulen und so zitiert man es nach dem Komponisten sicherheitshalber permanent als „schwarze Operette“ und betont fortwährend in Interviews und Pressemeldungen, wie opernhaft dieses Stück doch sei – dabei ist das gar nicht nötig, denn sowohl musikalisch, als auch szenisch, ist dem Haus eine tolle Produktion gelungen…

In der kargen, sehr schönen Ausstattung von MICHAEL LEVINE ist ein London im Zeitalter der Industrialisierung zu sehen: Schornsteine rauchen, jeder kämpft ums Überleben. Wenn sich Mrs. Lovetts Pasteten gefüllt mit Menschenfleisch besser verkaufen, als mit dem von Tieren (wobei hier auch nur Ratten oder Katzen zur Verfügung stünden) – warum nicht? Und so nimmt die Handlung ihren Lauf, denn die geplante Rache an Richter Turpin läuft nicht wie geplant, Sweeny Todds sich entwickelnder Hass auf die gesamte Menschheit lässt die Morde – respektive Pastetenproduktion – schnell zum Big Business werden und eine Leiche nach der anderen fällt, wie am Fliessband, vom Barberstuhl direkt in die Backstube. Das ist rabenschwarz, bitter-böse, brutal und gleichzeitig köstlich anzuschauen, mit welcher Inbrunst und Leidenschaft BRYN TERFEL als Sweeny seinen Kunden nach und nach die Kehle durchschneidet und damit unwissend auch seine Frau (und fast auch noch die Tochter) ermordet. Dennoch – dieser Sweeny Todd ist kein Monster, die Tragik seines Lebens macht ihn irgendwie sympathisch und fast schon hat man Verständnis für sein Handeln. Regisseur ANDREAS HOMOKI schafft es zumeist, sich von den häufig klischeehaften Bewegungen vieler Opernsänger zu lösen und die Geschichte spannend zu erzählen, auch wenn sich der Effekt der permanent auf- und abfahrenden Prospekte in der Bühnenmitte irgendwann erschöpft hat. Die Inszenierung hat fast etwas vom Moritaten-Theater eines Berthold Brecht, die herrlich abgenutzten Kostüme von ANNEMARIE WOODS passen vortrefflich zur reduzierten Umsetzung und verorten die Handlung damit auch zeitlich. Neben dem grandiosen Bryn Terfel in der Titelrolle begeistert vor allem ANGELIKA KIRCHSCHLAGER mit ihrem Debüt als Mrs. Lovett, auch wenn Sie an der von uns besuchten Vorstellung etwas angeschlagen klang. Herrlich auch die ungewöhnlich schrill tönende LILIANA NIKITEANU als Beggar Woman (und tragischerweise auch Sweenys unerkannte Frau Lucy) und der Pirelli von BARRY BANKS. In den jugendlichen Rollen: ELLIOT MADORE (sehr schön anzuhören in seiner lyrischen Ballade „Johanna“) und MÉLISSA PETIT als Johanna – hier hätte man sich doch lieber die Stimme einer Musicaldarstellerin ohne den üblichen Opernmanierismus gewünscht. Für den erkrankten Iain Milne sprang kurzfristig ADRIAN DWYER als Beadle Bamford ein – tolle Leistung, gemeinsam mit einem insgesamt hervorragenden und eingespielten Sänger-Ensemble und äusserst spielfreudigem Chor.

Erstaunlich, was der musikalische Leiter der Produktion DAVID CHARLES ABELL aus der PHILHARMONIA ZÜRICH herauszuholen vermochte, ist diese Musicalproduktion doch fernab vom üblichen Repertoire. Aufgrund der Verstärkung der Sänger und relativ gutem Sound/Mixing/Monitoring im Saal konnten auch die Musiker im Graben etwas dynamischer als üblich spielen. Das Publikum war begeistert und dankte mit langanhaltenden und verdienten Ovationen. Man darf gespannt sein, welches Musical als nächstes auf dem Spielplan der Oper Zürich erscheint, die Auslastung dürfte wohl dazu beitragen, dass „Sweeny Todd“ mit der tollen Musik von Stephen Sondheim nicht die letzte Musicalproduktion gewesen ist. Gut so!

14 Kommentare

  1. FEL!X

    Was für ein schönes Moritat! Ich wäre bestimmt begeistert gewesen!
    In meinen St. Galler Jahren 1978–2009, Stadttheater, wurden relativ oft unbekannte, dem «schönen» Leben kontroverse, sehr unkonventionelle Stücke gegeben. Ich fand es immer sehr schade, dass sich nach der Pause die Reihen merklich gelichtet haben (OK: tiefste Provinz!!)…
    Freue mich auf weitere Berichte aus ZH,
    FEL!X

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    1. arcimboldis_world

      Lieber Felix – so provinziell finde ich St. Gallen – ehrlich gesagt – nicht. Ich habe auch dort schon einige spannende Produktionen gesehen, kleinere Häuser wagen da ja häufig mehr als die „grossen und etablierten“….. – wo bist Du denn jetzt, in Thailand? Und was machst Du da, wenn ich fragen darf? Leben? Das ist prima…. 🙂 herzlichen Gruss aus dem winternasskalten Zürich. A.

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      1. FEL!X

        Lieber Adrian
        Mit provinziell meinte ich nicht das Stadttheater St. Gallen oder gar den Spielplan, sondern das Publikum…
        Ja, ich bin im Süden von Thailand. Und ja: hier koche, geniesse und hier lebe ich! Mehr per Email.
        Mit besten Grüssen aus Fernost,
        FEL!X

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