Platée – Oper Zürich 26.12.2023

Nach der sehenswerten Produktion „Hippolyte et Aricie“ von Jean-Philippe Rameau 2019 gibt es nun an der Oper Zürich eine Neuinszenierung von Rameaus comédie lyrique „Platée“ zu sehen, erneut mit dem starken Frauenduo EMMANUELLE HAIM am Pult und in der Regie von JETSKE MIJNSSEN…

Die Musik Rameaus empfinde ich als weitaus spritziger, quirliger, irgendwie auch frecher und lebendiger im Vergleich zu den vielen Händel-Opern, die manchmal doch etwas verschlafen wirken und ohne gute Regiearbeit oftmals etwas tröge sind. Anders bei Rameau, hier hat man das Gefühl von viel grösserer Dramatik und Klangreichtum, sowohl bei den Solisten, als auch bei den grossen Chören. Der Stoff für diese Oper ist sehr originell: die selbstherrliche Sumpfnymphe Platée ist der Überzeugung, dass sämtliche Männer sich in sie verlieben müssten, dies nutzt Gott Jupiter aus, um seiner Frau Juno eine Lektion zu erteilen – ein grosses Spiel um Eitelkeiten und egozentrische Persönlichkeiten beginnt. Jetske Mijnnsen verlegt die Handlung ans Theater, dass passt natürlich wie die Faust aufs Auge. Und so sehen wir Platée als schwulen Souffleur bereits im Vorspiel seinem Kasten entsteigen – der Lauf der Geschichte beginnt. Im ersten Teil vor der Pause hat man noch etwas Mühe, sich in diesem Göttergewirr und deren Spiegelungen im Theaterbetrieb zurechtzufinden und man fragt sich, ob dieses Konzept wirklich funktionieren kann oder ob Jetske Mijnnsen sich damit verzettelt. Letztlich wird im zweiten Teil alles klarer und präziser erzählt und so funktioniert dieses Theater im Theater und nach zweieinhalb Stunden französischer Barockoper fühlt man sich bestens unterhalten. Das ganze Konzept, lebt von der einzigartigen Besetzung, die voller Lust und Leidenschaft und grosser Spielfreude gemeinsam das Werk zum Leuchten bringt. Da ist allen voran der französische Tenor MATHIAS VIDAL (herrlich 2021 als Leopold in „L’auberge du Cheval Blanc“ an der Opéra de Lausanne), der mit wundervoller Stimme die riesige Partie der (des) Platée ausfüllt und eine immense Bandbreite an Emotionen zeigt, diese Bühnenfigur, diese Interpretation muss man einfach lieben, seinem Charme kann man sich nicht entziehen, egal ob er tieftraurig die Demütigung und den Spott aller hinnimmt oder verzückt und vor Liebe schmachtend im Tutu den Gott Jupiter aka Ballett-Solist anhimmelt (EVAN HUGHES – wie immer mit überaus wohlklingendem Bass). RENATO DOLCINI zeigt eine herrliche Studie eines alternativ-angehauchten Korrepetitors im Norwegerpulli, mit Wollsocken und langen grauen Haaren, der irgendwo in den 70ern hängen geblieben ist (aka Satyre/Cithéron), der sich gemeinsam mit dem Maskenbildner/Coiffeur aka Gott Mercure um Junos Kleinkinder kümmert, während diese vor Eifersucht rasend ihren Mann Jupiter sucht, um in quasi in Flagranti zu erwischen. Hier, in diesen kurzen Szenen, kommt - wie immer mit voller Wucht und Omnipräsenz – die geballte emotionale Ladung der einmal mehr umwerfenden KATIA LEDOUX zum Einsatz. Was für ein Energiepaket, was für eine Erscheinung, was für eine Stimme! Grossartig auch MARY BEVAN als La Folie aka gestrenge Ballettmeisterin, rauchend und wild mit ihrem Stock dauerfuchtelnd, gemeinsam mit ihrem Assistenten Momus (THEO HOFFMAN) bieten sie köstliche Karikaturen. ANNA EL-KHASHEM als Clarine/Thalie – vor der Vorstellung als indisponiert angekündigt – singt und spielt dennoch (wie immer) bravourös und was für eine grosse Freude über das Wiedersehen mit der wunderbaren TANIA LORENZO als Amour (zuletzt hinreissend als Sophie im Luzerner „Rosenkavalier“ zu sehen…!!!). In weiteren Rollen: ALASDAIR KENT als Thespis, SOYOUNG LEE (erste Mänade), SHIJIA HE (zweite Mänade), Tänzer:innen, Statisterie und der diesmal bestens disponierte Chor der Oper Zürich (Einstudierung: JANKO CASTELIC) – ein grosses Ensemble für ein grosses Spektakel, das von opulenten Szenen bis hin zu melancholischen kleinen und intimen Momenten alles bietet und nach einem rauschenden Finale sehen wir noch einen interessanten Twist, der den gedemütigten Platée wohl doch noch mit dem Leben und der Liebe versöhnt. Hach! Die Choreographien stammen von KINSUN CHAN, BEN BAUR hat einmal mehr ein sehr schönes Setting für diese Produktion gezaubert, die treffenden Kostüme stammen von HANNAH CLARK – sehr schön sind die Kostüm- und Masken-Zitate von Matthew Bournes „Swan Lake“ oder das tanzende Mobiliar aus Disneys „Beauty and the Beast“. Musikalisch ist diese Produktion ein Feuerwerk – neben dem tollen Ensemble auf der Bühne, brilliert das ORCHESTRA LA SCINTILLA im Graben. EMMANUELLE HAIM zaubert erneut herrliche Klänge, prachtvollen Farbenreichtum, die Musik Rameaus ist wohlklingend, differenziert in der Dynamik. Haim zeigt einen liebevollem Umgang mit der Partitur, selbst bei kleinen Details wie den Tierstimmen. Was für eine schöne Produktion zum Jahresende und – ich habe das bereits in meinem Blogpost zu „Hippolyte et Aricie“ geschrieben – mehr Frauen wie Emmanuelle Haim und Jetske Mijnnsen an die Front!

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12 Kommentare

  1. arnoldnuremberg

    Hallo Arcimboldi,
    freut mich immer, von Deiner Begeisterung für das Theater zu lesen, Oper, Ballett usw. Danke für diese Besprechung und alle Beiträge des ausklingenden Jahres. Auch wenn ich nicht jedes mal reagiere, freue mich darüber.
    Gute Wünsche zum Jahreswechsel in ein kreatives, gesundes und friedliches neues Jahr –
    Von Nüri nach Züri
    Bernd

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    1. arcimboldis_world

      Hallo Bernd, ich freue mich sehr über Dein Feedback, hoffe Du bist gut ins neue Jahr gestartet und hattest einen schönen Jahresausklang. Herzlichsten Gruss und die besten Wünsche für das neue Jahr in die Noris, nach Franken, aus Zürich. Adrian

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