Orphée aux enfers – Opéra de Lausanne 31.12.2023

Die Silvestervorstellungen an der Opéra de Lausanne sind immer wieder ein Erlebnis, zum Jahresabschluss 2023 gab es eine Aufführungsserie von Jacques Offenbachs Opéra buffe „Orphée aux enfers“ (Orpheus in der Unterwelt). Es ist eine grossartige Produktion und – ich kann es selbst kaum glauben – meine 500. besuchte Opern-Vorstellung…

Nach dem opulenten „Le Chanteur de Mexico“ (Francis Lopez) 2017 mit der wunderbaren Rossy de Palma und der witzigen Benatzky-Operette „L’Auberge du Cheval Blanc“ 2021, nun also ein spritzig-perlender Offenbach auf sehr hohem Niveau. OLIVIER PY inszeniert das Werk detailgetreu, verlegt es jedoch in die Zeit der Entstehungsgeschichte des Werkes während der 2. Republik Frankreichs bzw. der Kaiserzeit unter Napoleon III. Das ist herrlich, witzig, äusserst temporeich und funktioniert bestens. Die einfallsreiche modulare Ausstattung und die opulenten Kostüme stammen von PIERRE-ANDRÉ WEITZ, greifen die Zeit auf und verorten die Handlung mehr oder weniger ans Theater, die ganze Welt ist eben eine einzige Bühne und so findet sich auch der französische Hof aka die komplette illustre Götterbande des Olymps (im 2. Akt) nach durchfeierter Nacht immer noch stockbesoffen in den Theaterlogen bzw. dem Backstagebereich eines Theaters wieder, von wo sie sich auf in den Hades machen, um dafür zu sorgen, dass auf Betreiben der „öffentlichen Meinung“ Orphée sich (widerwillig) seine Eurydike zurückholen möge. Das Stück ist auch heutzutage noch äusserst witzig mit seiner herrlichen Offenbachschen Spritzigkeit, der typischen Bissigkeit, dem überbordenden Humor und natürlich wunderbarer Musik, tollen Ensemblenummer und perlenden Soli – davon kann sich manch andere Produktion etwas abschneiden (wie etwa die gähnend langweilige Zürcher Inszenierung von „Barkouf„) – es ist eben eine Kunst Offenbach zu inszenieren, es braucht diese Leichtigkeit, Plattitüden sind hier fehl am Platz. Das muss man können und Olivier Py kann das, auch weil ihm ein derart spielfreudiges Ensemble zur Verfügung steht, samt grossartigem Chor, Orchester und Tänzer:innen. Es ist eine wahre Freude! Alles stimmt, von den ausgefeilten Charakteren der einzelnen Rollen bis hin zu den amüsanten, temporeichen Choreographien von IVO BAUCHIERO. SAMY CAMPS als Orphée ist ein herrlich egozentrischer, arroganter, komplett tätowierter blonder Lebemann, der jede andere Frau haben möchte, nur eben nicht mehr seine selbstbewusste lebensfrohe Partnerin Eurydice (MARIE PERBOST), die sich sowieso lieber mit dem Schäfer Aristée/Pluton (stimmgewaltig JULIEN DRAN) amüsiert. Bei den Göttern allen voran Gottvater Jupiter aka Napoleon III (NICOLAS CAVALLIER), flankiert von CAROLE MEYER als Gattin Juno aka Eugénie (der man ihre spanische Herkunft natürlich vollends ansieht), BÉATRICE NANI als lustvolle Venus (natürlich ganz in sündigem Rot), CLÉMENTINE BOURGOIN als Diane, YUKI TSURUSAKI als Cupidon (ein quirliger Amor!), HOËL TROADEC als Mercure (sehr gelungen sein temporeiches Rondo), EMMA DELANNOY als Minerve und für mich die schönste Stimme des Abends: ASLAM SAFLA als Mars (in Leoparden-Unterwäsche…). SOPHIE PONDJICLIS ist eine herrlich dominante L’Opinion publique (öffentliche Meinung), den betrunkenen John Styx gibt FRÉDÉRIC LONGBOIS. Py hat viele wunderbare Ideen, zitiert von mittelalterlichen Totentänzen (immer sehr schön integriert und unaufdringlich getanzt…) und den Gemälden Hieronymus Boschs, bis hin zur barbusigen Marianne in Eugéne Delacroixs Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“, dazu grossartig Jupiters-Fliegenballett oder – zum Schreien komisch – die schlecht spielenden Geigen-Kinder und der Kinderchor zu Orpheus‘ Abschied, selbst Cerberus ist im Hades mit von der Partie und nur eine von vielen grossartigen kleinen Preziosen des energiegeladenen Ballett-Ensembles. Wie immer glänzt der Chor der Opéra de Lausanne mit immenser Spielfreude und präzisen Einsätzen, aus dem Graben tönt es ebenso prickelnd wie auf der Bühne, am Pult steht ARIE VAN BEEK und wen wundert es, dass es lange anhaltenden Schlussapplaus und stehende Ovationen gibt – was für ein Offenbachsches Feuerwerk! So muss Silvester sein! Herrlich!

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