Ein Opern-„Klassiker“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts bereichert nun das Repertoire der Oper Zürich – „Le Grand Macabre“ des österreichisch-ungarischen Komponisten György Ligeti hatte Premiere und bietet gut zwei Stunden herrlich-schräge Musik und ein dazu passendes Weltuntergangs-Szenario samt apokalyptischem Reiter…
Ligetis Musik, die zur Entstehungszeit (UA 1978 in Stockholm) noch provoziert hat (und auch sollte), sowie der wunderbar schräge, ja absurde, Plot von „Le Grand Macabre“ ringt einem heutzutage nur noch ein müdes Lächeln ab, dennoch haben unverständlicherweise mehrfach Zuschauer den Saal verlassen, was wirklich ein absolutes Rätsel ist. Denn nur, weil das Wort „Arschloch“ im Libretto steht oder ein grosses Penis mit riesigen roten Woll-Hoden (Nekrotzar ist eben „gut bestückt“) bedrohlich auf die Bühne robbt, geht doch die heile Opernwelt nicht unter. Das Stück hat immer noch sehr viel Biss und Humor, unzählige Zitate und macht einfach Spass, auch wenn in TATJANA GÜRBACAs Inszenierung die ersten gut 30-40 Minuten ziemlich langweilig daherkommen und man als Zuschauer hofft, dass dies nicht so bleibt. Irgendwann nimmt der Abend dann aber Fahrt auf und bekommt eine tolle Energie, der Zuschauer im Saal befindet sich dann auch mittendrin. Die Regisseurin schafft den recht schwierigen Spagat zwischen wunderbar-bizzarem und grell-buntem Klamauk bis hin zu den manchmal tiefgründigeren Fragen nach Sinn und Unsinn oder der Ur-Angst eines Weltunterganges, der die ganze Menschheit auslöschen könnte. Wohltuend dabei, dass sie auf eine (heutzutage doch auch naheliegende) aktualisierte Visualisierung des politischen Weltgeschehens verzichtet, sondern eher zeitlos in der Verortung bleibt. Dabei wird sie von einem grossartigen Ensemble unterstützt – allen voran LEIGH MELROSE (in Zürich bereits zu sehen in Bieitos tollen Inszenierungen von Zimmermanns „Die Soldaten“ und Prokofjews „Der feurige Engel) als Nekrotzar mit einer immensen Spielfreude, ALEXANDER KAIMBACHER als stimmgewaltiger Piet vom Fass und EIR INDERHAUG mit ihren beiden wunderbaren Rollenporträts und gewaltigen Koloraturen (Venus/Chef der Gepopo, der geheimen Politischen Partei). DAVID HANSEN, der in Monteverdis „Poppea“ als Nerone hier in Zürich sehr beeindruckt hat, gibt den Fürsten Gogo, einer Mischung aus Hipp-Hopper und Fashion–Freak im herrlichen lila Anzug mit roter Mütze und sprudelnder Energie sowie exzellentem Counter-Tenor. An dieser Stelle sei das treffende Kostümbild von BARBARA DROSHIN erwähnt, das die einzelnen Charakterprofile der Rollen hervorragend betont, ebenso der funktionale Raum samt Luftschiff-Gefährt von HENRIK AHR. Köstlich auch die weiteren Paarungen des weissen und schwarzen Ministers (MARTIN ZYSSET/OLIVER WIDMER) und Amanda/Amando (Alina Adamski/Sinéad O’Kelly) sowie JENS LARSEN (Astradamors, Hofastrologe) und JUDITH SCHMID als seine Frau Mescalina. Unter dem musikalischen Leiter TITO CECCHERINI und der Philharmonia Zürich klingt die nicht einfache Partitur aus dem Graben (und den Proszeniumslogen) frisch, laut, polternd, wuchtig, vor allem beim Schlagwerk – dennoch nimmt man sich in den eher lyrischen Passagen sehr zurück und gibt dem Sänger und den vielfach vorhandenen leisen Tönen ebenfalls den entsprechenden Raum, bevor es plötzlich wieder donnert und kracht und man das Gefühl hat, der von Nekrotzar angekündigte Komet rast direkt ins Opernhaus. Begeistertes Publikum nach einer sehenswerten und unterhaltsamen Produktion!
„Le Grand Macabre“ von György Ligeti (1923 – 2006)
Zuletzt gesehen in:
Luzern (Regie: Herbert Fritsch) am 7.10.2017
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