Arcimboldis Column #41: Tod eines Idols…

Nun habe ich mich endgültig von ihm getrennt. Von meiner grosser Jugendliebe – von Chris de Burgh, einem mittlerweile 76jährigen alten Mann. Er hat den Mythos selbst zerstört. Er hat es nicht geschafft aufzuhören. Noch so einer. Stattdessen tourt er aktuell mit seinem „50LO“ – Album durch die kleinen und mittelgrossen Hallen (jedoch mit hohen Ticketpreisen), lässt sich feiern und feiert sich selbst. Und merkt keine einzige Minute lang, dass er seinen Zenit schon lange überschritten hat. Nach einem furchtbaren Unplugged – Konzert im Zürcher Kaufleuten vor ein paar Jahren, will ich mich von ihm nun gebührend verabschieden, bei seinem Jubiläum, zu seinem 50. Bühnenjubiläum. Da sitze ich also, alleine, im vollbesetzten Theater 11, im roten Plüsch und meine Laune sinkt mit jedem Song. Am meisten erstaunt mich, wie unkritisch sein überwiegend weibliches 60+Publikum ist und jeden seiner Songs – egal ob einigermassen gut, eher schlecht oder grottenschlecht – bejubelt und dazu regelmässig aufsteht, tanzt, mitsingt und ihn feiert. Eine seltsame Mischung aus billigem Strass-Schmuck, Meche in den unterschiedlichsten Farben und Kunstlederoberteilen mit Applikationen. Das ist auch eine Leistung. Und traurig ist es ebenfalls. Ich überstehe das Konzert, verlasse es nach 2 Stunden, zu einem Zeitpunkt, an dem die offizielle Setlist noch nicht zu Ende ist, ich will nicht wissen, wie viele Zugaben es noch gibt, wie viele Songs es womöglich noch zu ertragen gilt. Sein Anspruch ist es, so sagt er, von jedem seiner 26 Alben seinen ganz persönlichen Lieblingssong zu spielen. Das dauert lange. Dazwischen noch zusätzliches Geplapper eines alten Mannes, ohne jede Selbstkritik, ohne jede Selbstachtung. Mir blutet das Herz. Was ist aus ihm geworden, aus diesem wunderbaren Sänger, Songwriter, diesem so ganz speziellen irischen Typen? Die Frisur, inzwischen ergraut, ist immer noch die von den Plattencovern der 70er Jahre, dazu unprätentiös, wie er nun mal ist, graue Hosen, blaues Hemd, graues Jacket und weisse ON-Sneakers. Die Songauswahl ist interessant und solange mit Bruststimme (wechselweise solo am Flügel und an der Gitarre) vorgetragen ganz in Ordnung, wechselt er jedoch in die Kopfstimme, ins Falsett, wird es unerträglich. Noch viel schlimmer, wenn er sich dann selbst bestätigt und ins Publikum ruft „Still good, my voice, isn’t it?“. Halte ich es zu Beginn noch für Selbstironie, als er uns, seinem Publikum erklärt, dass es wohl viele Fragen zu diesem Konzert gibt: „Chris de Burgh – lebt er noch? Kann er noch singen?“ – das Publikum lacht amüsiert. Aber man kann es ganz einfach beantworten. Ja, er lebt noch. Nein, er kann nicht mehr singen. Und das ist auch nicht schlimm. Schlimm ist nur, dass er es dennoch tut.

Man stellt sich die Frage, warum macht er das? Und da blutet mein Herz. Mein erstes Chris de Burgh – Konzert habe ich im Februar 1983 besucht, es war die „Getaway-Tour“, der Auftakt einer grossen Liebe zu diesem irgendwie seit jeher aus der Zeit gefallenen Singer/Songwriter und seiner ganz zauberhaften Musik. Und neben Phasen mit AC/DC, ABBA, Marc Almond, Depesche Mode und Culture Club, die ganzen Achtziger Jahre Sounds eben, später dann House und Techno ist mir neben meiner Opernleidenschaft Chris de Burgh immer ein treuer Wegbegleiter geblieben und ich habe regelmässig seine Konzerte teils aus Interesse, teils aus sentimentalen Gründen besucht. Denn alleine wegen den Songs „A Spaceman came travelling“, „Borderline“ oder „Spanish Train“ hat sich jedes Konzert von ihm gelohnt. Und nun? Hat sich das Idol Hals über Kopf selbst ins Aus katapultiert. Es ist das Ende einer Ära. Es ist das Ende von Chris de Burgh (live) in meinem Leben. Das macht mich traurig.

Neben den jährlichen Jahresrückblicken war es etwas still hier bei Arcimboldis Kolumnen. Die letzten Texte gab es zu Pandemiezeiten (huch). Habe ich Lust das wiederzubeleben? On verra.

Meine letzten Kolumnen (zur Pandemie):

ARCIMBOLDIS COLUMN #24: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG – PART 1

ARCIMBOLDIS COLUMN #25: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG – PART 2

ARCIMBOLDIS COLUMN #26: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG – PART 3 – Travelling

ARCIMBOLDIS COLUMN #27: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG – PART 4

ARCIMBOLDIS COLUMN #28: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG  PART 5 – Restart 

ARCIMBOLDIS COLUMN #31: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG PART 6 – MASQUERADE…

ARCIMBOLDIS COLUMN #32: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG PART 7 – Die zweite Welle…

ARCIMBOLDIS COLUMN #33: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG PART 8 – Das Warten…

ARCIMBOLDIS COLUMN #34: DIE UNGEPLANTE C-ENTSCHLEUNIGUNG – PART 9: IT’S CHRISTMAS TIME…

3 Kommentare

  1. casacanarias

    Hola Arcimboldi.

    Ach jaaa, da fällt mir so manches zu ein. Ist mutig von Dir beschrieben. Habe vor Monaten Bruce, unseren ewig arbeitenden Boss, besucht und war – ehrlich – zufrieden. So zufrieden, wie ich glaube, das ganze Phänomen unseres Kulturkonsums erleben und bewerten zu können. Nicht alles ist möglich.

    Habe auch noch ein paar wenige de Burgh-Platten im Schrank … und empfehle mir, und auch Dir, wenn es Dir Sinn macht, das Musikbedürfnis gaaanz, gaaanz weit zu streuen. Sowohl in Konserve als auch „live“. Dabei konnte ich immer aus einer gewaltigen Vielfalt schöpfen … und war nie sonderlich unzufrieden. Und Chris muss sein Leben selbst im Griff haben.

    Herzliche Grüsse aus dem grau verhangenen Tenerife. Hoffentlich gibt es bald mal etwas Regen.

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