Joachim B. Schmidt – Kalmann und der schlafende Berg.

Nach dem wunderbaren Roman „Kalmann“, der 2020 im Diogenes Verlag erschien, liegt nun seit August 2023 der Nachfolger „Kalmann und der schlafende Berg“ vor, die Messlatte ist hoch, die Erwartungshaltung ebenso…

Der Bündner Joachim B. Schmidt lebt seit 2007 in Island, seine Romane „Kalmann“ und „Tell“ sind Bestseller und sprechen ein breites Publikum an. Wunderbar einfühlsam und mit viel Gespür und Sensibilität für den beeinträchtigen Protagonisten hat Schmidt im ersten Roman Kalmann Óðinsson erschaffen und ihn zum Sympathieträger für eine grosse Leserschaft gemacht. Nun will man natürlich wissen, wie die Geschichte um den „Sheriff von Raufarhöfn“ weitergeht.

Für Kalmann hat sich vieles verändert. Sein geliebter Großvater ist gestorben, und nach der Sache mit dem Eisbären hat man ihm, dem Sheriff von Raufarhöfn, die Waffen abgenommen. Auch aufs Meer darf er allein nicht mehr hinaus. Er ist zu seiner Mutter nach Akureyri gezogen, wo Kalmann in einem Einkaufscenter arbeitet. Und dann ist da noch diese blöde Pandemie. Deshalb guckt er erst einmal nicht schlecht, als plötzlich eine E-Mail seines amerikanischen Vaters hereinflattert, der ihn zu sich einlädt. Und noch größer wird sein Erstaunen, als seine Mutter das für eine gute Idee hält. Aber die Reise in die USA klappt, und Kalmann kommt kurz vor Weihnachten nach West Virginia und in einen Ort namens Mill Creek, der sich gar nicht so sehr vom isländischen Raufarhöfn unterscheidet. Er wird herzlich aufgenommen, doch nach einem Zwischenfall bei einem »Familienausflug« nach Washington D.C. kehrt Kalmann früher als geplant nach Island zurück und in gewisser Weise auch zu seinem Großvater, dessen Tod auf einmal mysteriös wirkt. (Diogenes Verlag)

Die Freude über die Ankündigung eines zweiten „Kalmann“-Bandes war gross, aber wie es häufig so ist, kann diese Fortsetzung bei weitem nicht mit dem ersten Band mithalten, ist leider ein schaler Aufguss. Während „Kalmann“ eine leise und sanft erzählte Geschichte ist, fährt Schmidt beim Nachfolger alles auf, lässt den – nach wie vor – super sympathischen Kalmann zu seinem Vater in die USA reisen, wo er am 6. Januar mitten in den Sturm auf das Capitol mit anschliessendem Verhör beim FBI gerät. Aber auch die eigentliche Handlung, der Mord an seinem Grossvater und die daraus resultierende Ermittlung, samt Showdown und Auflösung ist wirr, lieblos und an den Haaren herbeigezogen. Es gibt durchaus sehr charmante Momente: immer dann, wenn die Handlung in der Stille und Weite der schönen Landschaften Islands liegt und Ruhe einkehrt. Immer dann, wenn sich in Kalmanns Kopf alles dreht und durcheinander wirbelt, wenn er seinen Freund Nói über den Messenger anruft, mit seiner Mutter Zeit verbringt oder an seinen Grossvater denkt – dann blitzt sie auf, die Liebenswürdigkeit und der umwerfende Charme des ersten Romans. Immer dann, wenn Kalman über die Welt und das Leben an sich philosophiert, dann ist das wirklich tolle Literatur. Aber das reicht einfach nicht. Hält man durch bis zum Schluss und legt den Roman nicht vorher beiseite, so ist man ziemlich enttäuscht, denn diese wirklich laue Fortsetzung hätte es nicht gebraucht. Schade.

„Kalmann und der schlafende Berg“ von Joachim B. Schmidt, 2023, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07266-2 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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